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Nein, es war also ganz
reizend! Eine ergreifende feierliche Stimmung.“ Fräulein Isolde
Sebisch schwärmt im Kreise der Worthlarer Literaturfreunde, die
sich zur Generalprobe des alljährlichen „Friedrich – Wilhelm –
Schnurz Weihnachtswettlesens“ bei der Bergamtmannswitwe Pinzel
samt ihrem Kater Giselher zusammen gefunden haben. Sie stößt aber mit diesem emphatischen Ausbruch, der sich auf die Adventsfeier der Kirchengemeinde bezog, nur auf ein mäßiges Echo, da die Begutachtung der selbst gebackenen Plätzchen der Frau Bergamtmann Pinzel weitaus mehr Aufmerksamkeit erregt. Die Buchhändlersgattin Stuppenbrunn tuschelt mit der Löwen-Drogistin Frau Rülpenich: „Selbst gekauft käme der Wahrheit viel näher. Als ich neulich in Bad Herzburg in der Konditorei Bittermeier war, da sah ich doch unsere Bergamtswitwe, wie ein riesiges Paket über den Verkaufstresen gereicht wurde und die Pinzelsche tönte: 'Ihre Plätzchen sind die besten – da schmeckt man die echte Confiserjee! ' Das habe ich mit eigenen Ohren gehört.“ |
„Na, dat is ja wat fies“,
entgegnet die gebürtige Kölnerin Rülpenich, die auch nach 20
Jahren Worthlar ihr rheinisches Idiom bewahrt hatte. Auch
Fräulein Sebisch hat kapituliert und krümelt ein „Deliziös“ über
ihre Lippen – sie ist bei dem dritten Plätzchen angelangt. Frau
Pinzel hat dem keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie ermuntert
Giselher: „Na du guter Kater, wenn du brav 'bitte bitte'
machst, dann gibt es einen Leckerli.“ Isolde Sebisch ist nicht so schnell zu entmutigen. Sie beginnt von Neuem: „Bei der Adventsfeier hatten wir auch viele Tiere im Programm eingebaut. Denn es ist ja auch für Kinder, die auch etwas Bewegung brauchen wie Ihr Giselher“ Frau Rülpenich horcht auf: „ Bei uns in Dottel gab es zum Tag des heiligen Franz von Assisi auch eine Messe mit Vierbeinern und Segnung, dat hätt aber bei minge Dackel nühs jenützt, der ist trotzdem überfahren worden.“ Frau Struppenbrunn antwortet rasch: „Ach, lassen sie uns doch über unseren Literaten sprechen, wie ich höre haben Sie da auch etwas zum Besten gegeben, nicht wahr, meine liebe?“ Sie wendet sich an Fräulein Sebisch. Denn Jene wohnte aus nicht ganz uneigennützigen Motiven inmitten einer bunten Schar im Festsaal der Kirchengemeinde „zum guten Hirten“ anlässlich der bereits angesprochenen Feier bei. Sie ergreift flugs die Gelegenheit am Schopfe und beginnt ihren Bericht:
„Das müssen Sie sich 'mal vorstellen. Die Frau Schreyer ließ es sich nicht nehmen, trotz ihrer 75 Jahre, den Adventsnachmittag mit einem Ständchen des Blockflötenkreises zu eröffnen.“ |
Ausführlich berichtet sie über die so Innig vorgetragenen Flötentöne,die in ihrer Klangfülle so recht an eine Musiktherapiegruppe der südlich von Worthlah gelegenen Lungenheilstätte 'Fichtenfrische' erinnerten. Besonders das festliche „Macht hoch die Tür – die Tor macht weit... ein König aha-aller Königreich“ mit leicht angeschrägtem „h“, ließ die fragile Tonstabilität deutlich hervortreten. Einige Kinder winkten im Wiegerhythmus mit Papiersternen, jedoch nur der Sohn der Leiterin vom Mütterkreis saß seelenruhig am Rand der Bühne und riss die Zacken seines Sternes ab. Als er zum Weiterschwenken aufgefordert wurde, warf er sich brüllend auf den Boden und trommelte mit den Fäusten auf selbigem herum. Seine Großmutter Ernestine dachte, es gehöre zur Aufführung und klatscht begeistert Beifall, so dass die Pfarramtssekretärin Schwierigkeiten hat den Gedichtsvortrag „ Weihnachtswehen“ des berühmten Heimatdichters „Friedrich-Wilhelm Schnurz“ anzukündigen. Mit Applaus wurde der Name der Vortragenden bedacht, die sonst in ihrem Amt als Notenwart des Kirchenchores ein eher unbemerktes Dasein fristet: Fräulein Isolde Sebisch.
Sie zwängt sich voll froher Erwartung auf ihren Auftritt durch die Stuhlreihen, welche kaum durch das Stolpern über die Strickjacke der Kirchenvorsteherin Olga Braunscheit und dem anschließenden Umwerfen einer vollen Teetasse beeinträchtigt wird. Auf der Bühne nimmt sie am Tisch Platz, haucht ihre Brille an und trinkt einen Schluck Wasser. Dank der erwartungsfrohen Stille ist deutlich von zwei Konfirmanden zu vernehmen: „Was will denn die Trockenpflaume da vorne?“ |
Weihnachtswehen |
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von
Friedrich-Wilhelm Schnurz |
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Der Graf Pieselke wippt im Schaukelstuhle im Takte am Revers die Nelke. In die lehmbraune Kuhle vor dem Hause staubig trocken fallen erste Schneeflocken.
An der klirrenden Kette jault Franz-Josef der Dobermann, ein Huhn gackert mit um die Wette - Knoschten zündet das Brennholz an; in dem Schuppen aus Brettern üben Flammen das Klettern.
Der edle Graf seufzt vernehmlich nun ja, wehmütig er bekennt: „der Knoschten ist zu dämlich.“ Doch brummelt er: „Ist ja Advent. Doch brennen sollen nur die Kerzen wie des Töchterleins Herzen.
Jene schaut nach den Pferden, schüttelt ab Kummer und Harm, denkt an ein neues Werden. In ihrem Herzen ist's nicht warm es fehlt die Weihnachtsgans im Darm.
Ein Stern fällt vom Himmel; sie spürt den Gruß vom Leutenant. Unter lautem Gebimmel die Schlittenfahrt ein jähes Ende fand. Im Schneematsch auf dem Acker steckt fest der geliebte Racker.
Versunken nun stehen sie beisammen, Knoschten, Tochter und Lieutenant. Der Schuppen wird ein Raub der Flammen. Des Grafen Diener kommt zum Schlitten gerannt, er ruft: „Herbei, Oh ihr Frommen! Der Advent ist gekommen.“
Es empfängt Graf Pieselke Knoschten, Tochter und Offizier, schnuppert an der Nelke, singt: „Macht hoch die Tür! Knoschten von alleine brennt der Schuppen, Los, Geh' lieber 'mal die Ente ruppen.“
Festlich muss der Diener verkünden: „Gegrüßet sei der Schwiegersohn in spe. Vergeben sind die Sünden. Durchlaucht trennen sich von Gut Gänsesee.“ Graf Pieselke schmunzelt: „Euer Lehen.“ Töchterlein strahlt: „Die Weihnachtswehen.“
Es ächzt des Schuppen Gebälk, dort hinein flieht das Geflügel. Der Abendsonne zartrosa Gewölk steht über dem Aschehügel. Drunter die Ente, dann Knoschten hinterher Jetzt sieht man Beide nicht mehr.
Derweil im gräflichen Salon knallt der Korken vom Champagner. Graf Pieselke tönt vom Chaiselongue: „Prost, Tante Tanja!“ Sie sind sich einig, Tanjas Sohn nämlich der Knoschten - war abgrundtief dämlich.
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Heftiger Applaus krönt den Vortrag. Zurück an ihrem Platz erklärt Fräulein Sebisch: „Kaum jemand hat unsere Heimat atmosphärisch dichter in Worte gefasst als Friedrich-Wilhelm Schnurz.“ “Ist mir schnurzpiepe“, brummt Klempner Dengler. Isolde Sebisch lässt sich nicht so schnell entmutigen: „Das ist Kunst, die hohe Dichtung, die das Innerste ausdrückt!“ „Mir ist eine Dichtung lieb, die das Innerste im Rohr zurückbehält. Einmal Weihnachten ohne wegen einer vergammelten Dichtung zu Kunden rausfahren zu müssen, weil die Weihnachtsgans im Keller Schwimmübungen machen kann. Doch Obacht! Jetze muss meine Enkelin die 'sterbende Gans' oder so tanzen.“ „Das hat ja wohl weniger mit der Dichtung zu tun, darf ich wohl annehmen.“ entgegnet Fräulein Sebisch spitz. Der Handwerker bleibt unerschütterlich: „Na, warum glauben Sie, tue ich mir das Brimborium hier an? Es geht um die Cordula.“ Da irrte der Mann. Denn vor der Pantomime der Kindergruppe wird erst einmal gesungen. Auf einen Wink von Pastor Kallmann werden die Kerzen an der Fichte angeknipst. Organistin Brosse intoniert am Harmonium: „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen...“. Da hält es auch den graubärtigen Installateur nicht mehr. Er schmettert mit Begeisterung: „... die Tante Lene hat falsche Zähne und krumme Beene fest und starr...“ Verärgert beißt Fräulein Sebisch in einen Lebkuchen, der von der Frauenhilfe gebacken worden war. Die Nachbarin hatte das Gebäck besonders empfohlen. Isolde Sebisch ist in diesem Moment dankbar, dass sie im Gegensatz zur Tante Lene über ein gesundes Gebiss verfügt und begreift die Adventsbotschaft ihrer Nachbarin, die die Lebkuchen als einen besonders guten Jahrgang anpries, der heute nicht mehr so oft vorkäme. Viel Zeit ihrer üblen Laune nach zu gehen hat Fräulein Sebisch jedoch nicht. Der Chor ist erst nach den „Sonntagskindern“ dran. Jene sind die unvermeidliche Beigabe junger Eltern, die zum Gottesdienst kommen und wegen der hohen Sterblichkeit der restlichen Gemeinde bei Laune gehalten werden müssen. Frau Oberstudienrätin Schlegarstig hat mit Hinweis auf ihren Tinnitus in einer Kirchenvorstandssitzung durchsetzen können, dass die Kinder, die meist aus Kasachstan stammen, während des Gottesdienstes im Gemeindesaal in deutschen Volksliedern und der korrekten Benutzung sanitärer Einrichtungen unterwiesen werden, während die Eltern mit all den anderen Gemeindegliedern ungestört sich der Andacht und Erbauung widmen können. Als Dankeschön für dieses selbstlose Engagement der pensionierten Lehrerin hatten die Sonntagskinder das Weihnachtsspiel: „Olga, die sterbende Gans und das Kerzenwunder“ eingeübt. Die Handlung ist schnell erzählt: zu Weihnachten soll eine Gans geschlachtet werden, die die Kinder der Kosakenfamilie vorher vom Küken an aufgepäppelt haben. Als sich das Fest nähert, was kurzer Hand vom 6. Januar auf den Heiligabend verlegt wurde, da reißt die Gans aus und flieht in die Kirche, wo sie unter der Kerze bei der Madonna goldene Eier legt. Dadurch wird das Schlachten abgeschafft und es gibt zu Weihnachten nur noch Hirseklöße an Chicoree mit Preiselbeertunke und Ahornsirup. Frau Oberstudienrätin hatte persönlich in die Regie eingegriffen, weil nach ihrer Meinung der vegetarische Aspekt in der russischen Version nicht ausgeprägt genug erschien. Das Schauspiel beginnt. Mütter, Großmütter und Tanten sind hingerissen, während der Anteil männlicher Besucher deutlich abgenommen hat. Das liegt daran, dass der Küster Rautendorf vor dem Gemeindehaus den Gasgrill in Betrieb setzte und erste Würstchen den Grillduft auch in den überhitzten Gemeindesaal tragen. Inoffiziell ist auch das Bierfass bereits angestochen und der Glühwein dampft vor sich hin. Drinnen jedoch spielen die Kinder mit glühenden Wangen und die Enkelin von Klempner Dengler tanzt mit der zum Tode verurteilten Gans. Zu den ekstatischen Klängen des einzig in der Gemeinde vorhandenen Orff'schen Instrumentes, einem altersschwachen Xylophon, auf dem drei Kinder verbissen herum hämmern und einem Tambourin, der meditativen Tanzgruppe, von deren Leiterin getupft, damit das Chakra nicht herausfällt, soll nun die Gans unter die Kerze der Madonna flüchten. Die Madonna spielt die sechsjährige Magdalena, Tochter des zweiten Pastors Kallmann, der erst durch diese Besetzung einer tragenden Rolle seine grundsätzlichen theologischen Bedenken hinten an stellen konnte. Die Gans ist eigentlich ein Schwan, der dem Sohn des Vorsitzenden des Kirchenvorstandes gehört und der ihn sonst als Schwimmhilfe benutzt. Der Küster kam auf den Einfall das Plastetier gehörig aufzublasen, doch mangels Luftpumpe blieb ihm nichts anderes übrig, als den Blasansatzschniepel mit der Propangasflasche zu verbinden. Die Kinder waren begeistert über das prall gefüllte Tier. Jetzt, wo sich das Drama seinem Höhepunkt nähert, müsste es doch dem Erzähler zu denken geben, ob nicht die beste Füllung für Geflügel aus Zwiebeln und Äpfeln bestehen sollte. Indes - Magdalena kann nicht mehr stehen. Sie wechselt von einem Fuß auf den anderen. Dabei geschieht es, dass ihr das Kerzenwachs über die Finger kleckert. Sie schreit auf, just in dem Moment wo die Schwanengans sich unter die Madonna mit Kerze flüchten will. Die Enkelin von Klempnermeister Dengler versucht noch das Kunststoffgeflügel dem heißen Wachs und der verzehrenden Flamme zu entreißen, sie packt die Gans fest, doch am Schnabel ist der Plast bereits erweicht, der Gasüberdruck wird schlagartig abgebaut und aus dem Schnabel der Gans zischt eine Stichflamme in Richtung Magdalena, die nun einer eher flambierten Ikone gleicht. Frau Dompfaff, die den Akku ihres Hörgerätes im Ladenetzteil vergessen hat, klatscht begeistert Beifall und schwärmt noch längere Zeit von diesem bezaubernden Kindertheater mit dem Feuer speienden Drachen.
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Küster Rautendorf beweist, dass er jeglicher Lage gewachsen ist. Er nimmt den Putzeimer, der zum Reinigen des Grills bereit steht und kippt den Inhalt über die Darstellerinnen. Das Plastegeflügel wirkt schlaff und hat sich offenkundig völlig verausgabt. Nur der Sohn des Kirchenvorstehers heult über das Hinscheiden seines „Schwimmschwanes“ und spricht deutlich das aus, was er vorhin bei den Männern draußen an der Theke neben dem Grill gehört hat: „Scheißweihnachten!“ |
Hektisch ruft Organistin Brosse den Kirchenchor zusammen. Im Bass und Tenor klaffen deutliche Lücken: „weil der Glühwein sonst kalt wird“, begründet ein Sänger seine Abwesenheit. Fahrig stimmt sie den Chorsatz an: „Zünd an, zünd an in uns ein Licht...“ In der allgemeinen Hektik beginnen die Stimmen jede in einer anderen Tonart, das dem romantischen Werk einen spröden Klang verleiht. Der Sopran klingt so melodisch, als ob mitten im kalten Winter eine Straßenbahn durch eine enge Kurve fährt. Das schadet aber nichts, da eh' Keiner zuhört. Die Diakonin Klara Kurzer hat davon nichts mitbekommen. Sie hat letzte Hand angelegt für den Abschluss des offiziellen Teiles: das alljährliche Konfirmandenkrippenspiel in der Kirche. Es gilt als der Höhepunkt jugendlicher Gemeindeaktivität. Dazu wurden Konfirmanden ausersehen, die noch nicht die erforderliche Anzahl an Gottesdienstbesuchen aufweisen. Durch ihr Mitwirken bei dem Krippenspiel erhalten sie die einmalige Gelegenheit ihr Punktekonto aufzubessern. Diese Chance ist zugleich die Motivation zur eindringlichen Darstellung des weihnachtlichen Geschehens.
Klara Kurzer lässt es bei der Gestaltung an nichts fehlen. In der Kirche ist ein Stall aus Waschmittelkartons aufgebaut, von der Kanzel hängt an dünnen Drähten ein Blinkstern aus dem Kaufhaus und statt Ochs und Esel blökt ein Schaf und eine Ziege. Letztere probiert derweil, ob der Kokosläufer essbar ist. Küster Rautendorf sind diese Krippenspiele ein Gräuel, doch hat er jetzt andere Sorgen – außerdem darf das Bier nicht schal werden. |
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Endlich versiegt
das Geraune und die Diakonin sagt das Krippenspiel an. Die
Mütter sind wiederum hingerissen; auch vereinzelte Väter
haben sich nun eingefunden. Die Konfirmanden haben ein
Weihnachtslied einstudiert, welches sogleich erklingen soll.
Die Diakonin ist zu vernehmen: „Stäärn über Beetlähäm zeig
uns den Weech, füahr uns zur Krüppe hün, zeig wo sie
stääht...“. Die Konfirmanden liefern einen undefinierbaren
Klangteppich, die Gitarre besticht durch ein gleichförmiges
„Schrumm schrumm...“ Danach begibt es sich, dass die
Konfirmanden nun in den Dialogen wetteifern, wer am
tonlosesten und am schnellsten durch die Zielgerade gehe.
Das Ganze hat etwas von preisgekrönter österreichischer
Nöhlliteratur, gewissermaßen Elfriede Jelinek auf der
Überholspur der A 1 südlich von Köln morgens um halb drei.
Das Mienenspiel der Akteure verrät ein alleiniges Interesse
daran, von anderen nicht gesehen und gehört zu werden.
Misstrauisch wird nach möglicherweise bekannten Gesichtern
im Publikum gefahndet, während Maria und Elisabeth bei dem
„... voll der Gnade bist du und gesegnet sei die Frucht...“
die restlichen Worte in nicht enden wollendem Gekicher
ersticken. Küster Rautendorf ist Tischler. Zu Hause ist die Modelleisenbahn sein ganzer Stolz. Für sämtliche Versorgungsleitungen verwendet er einen dünnen Draht, der unauffällig ist. So hat man in der Kirche den Eindruck dass der der Himmelskörper am Firmament schwebt. Dem Blinkstern bekommt dies allerdings nicht so gut. Die Glühlämpchen benötigen viel mehr Strom als sein Güterzug, Sie sind direkt an die Steckdose angeschlossen. Dadurch überhitzen sich mit der Zeit die Drähte, die Isolierung schmilzt und ein plötzlicher Kurzschluss verteilt einen letzten Funkenregen über den Stall, bevor die Dunkelheit den Ort des Geschehens überdeckt. Gerade in dem Satz der heiligen drei Könige:“ Schau nur, da bleibt der Stern stehen, dort muss es sein...“ erlischt das Licht, Schaf und Ziege werden nervös und reißen sich los. Nachdem der Küster die Taschenlampe gefunden hat und die Sicherungen wieder einschraubt, ergreifen die Konfirmanden die Gelegenheit um die Tiere wieder einzufangen, was nicht ohne Gejohle abgeht und den Zuschauern ob des urplötzlich entfalteten Talentes zu ungezwungenen Bewegungen und ebensolcher Sprechweise ein Erstaunen abnötigt. Die Aufregung blieb bei den Tieren natürlich nicht ohne Folgen für deren Verdauung und in eine dieser Hinterlassenschaften tritt die moralisch entrüstete Frau Oberstudienrätin Schlegarstig, was ihr einen Kommentar entschlüpfen lässt, der sich absolut mit der Überzeugung des kleinen Kirchenvorstehersohnes zum Weihnachtsfeste deckt. Fräulein Sebisch jedoch ist bereits längst durch das Kirchenportal entwichen. |
Jetzt hat sie sich heiser geredet. Sie nimmt eine Tasse Tee und Frau Rülpenich ergreift die Gelegenheit zum Kommentar: „Also, dat is wat lustich, wat se da verzällt han...“ Die Frau Bergamtmannswitwe Pinzel verzieht die Mundwinkel: „Na das muss ja dort ein buntes Treiben gewesen sein. Ich bin ja für eine moderne Kirche – aber man darf es nicht übertreiben. Unser Dichter, der Friedrich-Wilhelm Schnurz, ist 'Gott sei Dank ' erhaben über solch' Kirchenklamauk. Da muss ich nur eine Zeile von ihm lesen und ich bin entrückt von allem Gewöhnlichen. Fräulein Sebisch, ihr Engagement in Ehren, aber denken sie einmal bei Ihren Lesungen an die Säue der Perlen!“ Frau Rülpenich lässt einen Keks auf den Boden fallen: „Na dat is ja ne Sauerei! Han se denn nit ihren Giselher 'ne saubere Katzenklo hinjestellt?“ Dä hätt jet wat op de Perser jemaat! “ Während der Übeltäter den zu Boden gefallenen Keks verspeist, lässt sich die Buchhändlersgattin Stuppenbrunn vernehmen: „Das mit dem Herrn Schnurz – also das greift zu kurz! Der hat uns doch zusammen mit der Leiterin der städtischen Bücherei, dieser Frau Scheuß, welche ja nebenbei im Taubstummenheim als Referentin für Rhetorik tätig war, uns tatsächlich so bequatscht, dass wir 200 Exemplare seiner Lyrik-Sammlung: „neblige Gräber in Humms Schächten“ gekauft haben und die uns garantierte Abnahme im Altersheim „Schweineteich`s Ende“ durch den Prozess, den Pastor Schlunger angestrengt hatte, vereitelt wurde. Bloß, weil da so ein paar Alte ihr überzähliges Vermögen nicht der Heimleitung schenken wollten, die hatten doch sonst niemanden als Erben. Anstatt sich über die Verpflegung zu beschweren, hätten sie besser mit geistiger Nahrung ihren Hunger stillen sollen. Greise sind egoistisch. Die haben uns einfach auf den Schwarten sitzen gelassen. Wegen diesem Pastor Schlunger wurde das Altersheim geschlossen und darum diese teuren Bücher nicht gekauft, denn Schnurz musste ja im Eigenverlag drucken lassen und war deshalb meist um Kleingeld verlegen, wofür wir dann bluten mussten. Ich habe übrigens einige Exemplare davon mitgebracht. Sogar mit Widmung. Das sollten Sie sich einmal unverbindlich anschauen. Ich kann auch auf größere Scheine entsprechendes Kleingeld herausgeben.“ |
Lang ist nicht kurz, egal nicht schnurz Große Ideen ein flüchtiges Wehen vom Winde des Meisters in die Welt geblasen. Ein ewiger Wrasen.
(Friedrich – Wilhelm Schnurz aus: „An Kunstergüssen Schwafylons“)
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Blick auf die Ziegelei der Grafenfamilie Pieselke, Herren von Hundeluft und Gut Gänsesee. Der Fotograf Ludolf Knarke bannte an einem kalten Wintertag diese poetische Morgenstimmung auf die Platte. Standort ist die ehemalige gräfliche Remise, die später als Lagerschuppen genutzt wurde. In der Vorweihnachtszeit des Jahres 1988 abgebrannt.
[Archivaufnahme aus dem Jahre 1993 mit freundlicher Genehmigung seiner Durchlaucht Graf Pieselke] |
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