Der Chemiebaukasten

von Stephan Ebers

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Die Familie hatte am Tisch zum Abendbrot gegessen. Aus der Küche wehte noch ein Hauch knusprig gebratener Toufou-Koteletts. Dominik und seine Schwester saßen gegenüber den Eltern, die sich gerade über die Tagung des Komitees "Ausländer rein!" unterhielten. Hans-Jürgen, der Vater, als Soziologe auch Leiter einer Selbsthilfegruppe für "Ödipal intendierte Chauvinisten", widmete sich der Arbeit im Komitee mit regem Interesse. Seine Frau Christiane, die einen Naturkostladen in der Stadt leitete, verwaltete bei "Ausländer rein!" die Kasse. Das heutige Gesprächsthema bildete der türkische Kulturabend, den "Ausländer rein!" veranstalten wollte.


"Kinder!" rief plötzlich Hans-Jürgen, " Ihr kennt doch den Hubertus, der mit euch bei der Demo zum letzten Castor-Transport so schön 'Super-GAU' gespielt hat." Ivonne, Dominiks Schwester, verzog den Mund:" Ach das doofe Spiel, wo wir auf dem Rasen wie tot liegen bleiben mussten und uns nicht bewegen sollten, weil überall Strahlung war." Christiane bemerkte energisch:" Das war überhaupt nicht 'doof', immerhin wisst ihr jetzt, wie Ihr euch in solchen Situationen zu verhalten habt. Außerdem konntet Ihr ja auch der Singegruppe Cäsium 137 zuhören. Eifrig ergänzte Dominik: "Die doch immer gesungen haben: ...da kommt das giftige Neutron, gleich packt es Dich schon!..." Ivonne fiel ihm ins Wort: "Das haben die Eltern ja gar nicht mitgekriegt, weil die Erwachsenen alle beim Holunderbeerenpunsch von 'Grünfriede' standen und rumlaberten.


"Also, ich wollte doch lieber das Neueste von Hubertus erzählen", unterbrach Hans-Jürgen die Unterhaltung. "Am Stadttheater hatte jemand mit schwarzer Farbe so eine schreckliche Inschrift an die Wand gesprüht. Schandbar! Deutlich war zu lesen: "Ausländer 'raus!" Christiane nickte beifällig. Sie fuhr fort: "Da haben wir im Komitee lange überlegt, was man dagegen unternehmen solle. Manche meinte, wir sollten vielleicht 'Ausländer rein!' darunter malen." Jürgen hob warnend seine Gabel:"Das darf man nicht, denn es ist Sachbeschädigung. Andere wollten dann die Parole übermalen. Regina aber gab zu Bedenken, dass wir nicht den gleichen Farbton treffen würden, wie die ursprüngliche Wandfarbe." Feierlich fragte Hans-Jürgen: "was hättet Ihr denn getan?" Ivonne strahlte:" Vielleicht einen Büchertisch davor aufbauen. Das war doch neulich so lustig, als wir gegen den Autobahnzubringer demonstriert haben. Karli hat mit seinem Rad immer mit uns Überfahren gespielt." "Davon habe ich ja noch gar nichts gewusst", unterbrach Christiane das Mädchen ärgerlich. Sie wendete sich an ihren Mann: "Was sind denn das für Eltern?" "Och", erwiderte der Angesprochene gedehnt, "Der Alte fährt einen BMW, er ist Ingenieur im Farbenwerk."

Christiane nickte :"Ich hätte es mir denken können. Solche Leute wissen einfach nicht in ihrer Technikgläubigkeit, was sie bei den Kindern anrichten. Mit dem werde ich wohl 'mal ein ernstes Wörtchen reden müssen."


Statt einer Erwiderung fuhr Hans-Jürgen fröhlich fort. "Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, wir haben lange über eine Aktion gegen diese Schmiererei diskutiert. Erhan Üzdemir musste dann nach Hause. Danach konnten wir uns zwangloser unterhalten, denn so mächtig ist er ja der deutschen Sprache nicht. Wir haben schließlich eine Resolution verfasst, in der wir der Stadtverwaltung gegenüber unseren schärfsten Protest zum Ausdruck brachten. Ultimativ forderten wir die Entfernung der Hetzparole. Als Hubertus heute am Theater vorbeikam, - na, was hat er wohl gesehen? Die Inschrift wurde übermalt. Wir sind im politischen Kampf wieder ein großes Stück weitergekommen. " Der Vater strahlte über das ganze Gesicht.


Endlich konnte Dominik auch etwas zur Unterhaltung beitragen. "Wir haben heute mit Karli's Chemiebaukasten gespielt und eine Stinkbombe gebaut." Christiane ließ ihren Löffel schlagartig in ihr Müsli fallen. "Was habt ihr gemacht? Eine Bombe gebaut?" fragte der Vater fassungslos. "Meine Güte", überlegte Dominik, "als ob wir sonstwas angerichtet hätten." Seine Mutter fasste sich am schnellsten. "Also, Dominik, dann wollen wir das einmal in Ruhe besprechen. Ihr habt mit Chemie gespielt. Weißt Du eigentlich, wie engagiert Deine Eltern gegen die Erweiterung der Raffinerie gekämpft haben, damit ihr Kinder mit weniger Gift aufwachsen dürft? Du, dagegen, hast nichts Besseres zu tun, als mit Giften zu hantieren. Mit zwölf Jahren solltest du mittlerweile alt genug sein, um das zu wissen. So ein verantwortungsloses Tun macht mir aber Angst. Wessen Idee war das? Bitte gib präzise Antwort."


Dominik stotterte: "Eigentlich hatten wir nur so 'mal was ausprobieren wollen. Dann ist es einfach passiert. Wir haben Schwefel mit Eisen verbrannt. Das hat richtig geflackert! Danach haben wir das Ganze mit Säure übergossen. Im Zimmer hat es herrlich gestunken." "Mit Säure und und herrlich gestunken", echote Hans-Jürgen. Er sah seine Frau vielsagend an. Die entgegnete nur: "Mit diesen Eltern muss man Klartext reden. Was die bei den Kindern anrichten! Hans-Jürgen, das diskutieren wir in der Gruppe." Der Angesprochene nickte. Die Mutter schob die Müslischale beiseite. "Mir schmeckt es nicht mehr. Zur Strafe geht Dominik sofort ins Bett. Es gibt heute kein Revolutionslied aus Nicaragua. Außerdem sprechen wir morgen noch einmal darüber." Yvonne dachte: "Der hat es gut. Da braucht er nicht diesen ewigen Singsang anhören, den sowieso Keiner versteht."


Als die Kinder in ihren Zimmern verschwunden waren, warf Hans-Jürgen einen Blick in die Zeitung. Nach kurzer Zeit räusperte er sich: "Da bauen sie doch tatsächlich eine neue Trafostation am Pommernring. Nur damit sie den Atomstrom noch schneller zu uns liefern können. Der 'Grüne Kaktus' fordert alle Anwohner auf, dagegen zu demonstrieren. Am kommenden Sonnabend." Christiane entgegnete bestimmt: "Da haben wir keine Zeit. Ich habe Regina fest zugesagt, dass wir an einer Kundgebung gegen den 'Sexismus an Schaufensterpuppen' teilnehmen." Hans-Jürgen fragte erstaunt: "Haben wir denn darüber bereits gesprochen?" Christiane schüttelte energisch den Kopf. "Das scheint mir ja wohl nicht nötig zu sein, oder kannst du es als fortschrittlicher Mann gutheißen, wenn durch die aufreizenden Posen der 'Plastik-Models' Männer angetörnt werden sollen, Kleidungsstücke zu kaufen, die zur Erniedrigung der Frau beitragen?" Zustimmend nickte Hans-Jürgen. "Das wird mir erst jetzt richtig bewusst. Unsere chemiefreien, aus biologischem Anbau stammenden Norwegerschurwollepullover haben wir ja auch ohne Schaufensterpuppe gekauft. Es ist gut, dass du noch einmal so deutlich darauf hingewiesen hast."


Die Frau schwieg, schaute in Richtung der Wendeltreppe, die neben dem Kamin zu den Schlafzimmern im oberen Geschoss führte, bis sie unvermittelt dem Gespräch eine neue Wendung gab."Wir müssen uns noch Schritte wegen des intellektuellen Missbrauchs von Dominik überlegen." Während im Kamin die letzten Holzscheite verglimmten, beratschlagten die Eltern die Zukunft ihres Sohnes.


Am nächsten Morgen schien der Ärger von gestern wie weggeblasen. Christiane gab Dominik das Weizenkeim-Zucchini Brot, das in Ölpapier eingewickelt war, mit der eindringlichen Ermahnung auf den Weg, die Schnitten ja fern von Autos zu essen, damit kein gefährliches Blei, das ja an den Straßenrändern unsichtbar durch die Luft schwebe, daran gerate.


Auf dem Schulhof traf er Karli. Der kramte aus seiner Jackentasche ein Tablettenröhrchen, das mit einer weißen, krümeligen Substanz gefüllt war. "Hey, weißt du, was das ist?" Dominik schüttelte den Kopf. "Das ist Soda", belehrte er Dominik, der an seinem Brot kaute. "Wir brauchen nur Säure darauf zu gießen, dann schäumt das. Kommt vom Kohlendioxid. Das ist unbrennbar und man kann sich so einen Feuerlöscher bauen." Dominik nickte abwesend. "Sag' einmal", begann Karli auf's Neue: "Hast Du jetzt keinen Bock mehr auf chemische Experimente?"


"Na ja", stotterte der Angesprochen , "das hat zu Hause mächtig Stunk gegeben. Von wegen giftiger Chemie und so."


Karli schüttelte den Kopf. "Es hat doch bei mir gestunken und nicht bei Euch zu Hause! Mein Vater hat gelacht." "Nein, es war nicht wegen dem Stinken, sondern wegen dem Gift." "Wieso", fragte Karli, "ist denn bei euch zu Hause jemand durch uns vergiftet worden?" Dominik dachte bei sich: "Die sind doch längst alle vergiftet." Noch ehe er etwas Karli erwidern konnte, steuerte Hubertus auf ihn zu. Offenbar hatte er heute Pausenaufsicht. Er knuffte den Jungen freundschaftlich in die Seite und meinte:" Hallo, du Terrorist! Regina und ich wollen uns einmal über deine Bombenbauerei unterhalten. Hast Du Lust mit zu uns nach Hause zu kommen?" Dominik nickte. Besser die Zwei zu ertragen, als von den Eltern weiter wegen Karli befragt zu werden. Hubertus lächelte und entfernte sich raschen Schrittes, um zwei andere Schüler wegen ihrer Kokelei mit einer Lupe zu belehren, weil sie das ultraviolette Licht bündeln würden, um noch mehr tödliches Ozon zu entfachen. Diese Leier kannte Dominik und seine Schwester schon seit langem, als sie einmal den Brennglas-Effekt ausprobierten.


Der Pausengong ertönte, die Kinder strömten in den modernen Betonbau, dessen Fenster mit Bildern vollgehängt waren. Auf dem Stundenplan stand Deutsch. Regina diktierte: " Also schreibt jetzt! Der Öko-Bauer Ludwig düngt ohne Pestizid aus blauen Plastiksäcken..."


Eigentlich mochte Dominik Hubert und Regina ganz gern. Doch als er das Wohnzimmer der Beiden betrat, fand er drei Stühle vor, die in einem Dreieck aufgestellt waren. Was sollte hier gespielt werden? Reise nach Jerusalem? Offenkundig nicht. Denn er musste den einen Stuhl besetzen, Hubertus und Regina setzten sich ihm gegenüber. Hubertus schaute ihn ernst an und begann: "Wir wollen Dich heute etwas fragen. Als deine Freunde kannst du uns alles sagen. Ehrensache."


Regina fragte scheinbar unbeteiligt: "Hast du schon einmal über den Tod nachgedacht?" Die Frage war Dominik unheimlich. Das hatte ihn sein Vater auch gefragt, als vor dem Elternhaus die Katze überfahren wurde. Die Katze war eines Tages im Garten gewesen und wurde sehr anhänglich. Doch seine Mutter mochte das Tier nicht. Sie schrie: "Lasst das räudige Tier bloß draußen!" Dominik kannte den Begriff räudig nicht. Es musste etwas Schlimmes sein. Doch die Katze schnurrte stets, wenn er sie streichelte. Als mit einem Male der Körper platt auf dem Asphalt lag, bemerkte sein Vater: "Diese Mord-Autos." Yvonne antwortete lediglich:"Wir haben doch auch einen Wagen." Hans-Jürgen schwieg, aber aus dem Haus ertönte die Stimme Christianes: "Gott sei Dank, jetzt kann ich wieder die Haustür einmal offen stehen lassen, ohne dass das Vieh in die Küche kommt." Dominik überlegte: "War es das, was man von ihm wissen wollte?" Doch bevor er noch seine Überlegung zu Ende führen konnte, hörte er Regina sagen:" Das haben wir uns gedacht. Dein Schweigen ist Ausdruck starker Betroffenheit. Schau in diese Buch, da ist ein Bild. Lauter tote Menschen." Hubertus sekundierte: "Sieh' dir das gut an! Das ist die Frucht der Chemie." Dominik starrte auf ein Bild, auf dem ein Knäuel toter Gerippe lagen. Dass es Menschen waren, erkannte er erst auf den zweiten Blick. Hubertus fuhr fort: "Das hat man mit dem Giftgas Cyclon B erreicht, in Auschwitz. Siehst du, so gehen Industrieanbeter mit den Menschen um!" Regina klappte das Buch zu. Sie fragte ihn sanft:" Hast du dir einmal Gedanken gemacht über den Zusammenhang zwischen Stinkbomben, die giftige Gase freisetzen und Cyclon B? Beide verderben die Schöpfung von Mutter Erde. Aber du bist noch ein Kind, bevor du zum Mann wirst, musst du dir über deine zukünftige Rolle klar werden; ob du auf der Seite der Bewahrer, oder Zerstörer stehen willst."


Dominik schaute sehr verwirrt drein. Hubertus kam ihm zur Hilfe: "Regina sagt da etwas sehr wichtiges. Wir Männer sind durch unsere Erziehung sehr einseitig geprägt. Als ich ihr einmal erzählte von einem Streich mit der Katze meiner Oma, der wir eine Blechdose an den Schwanz gebunden haben..." Dominik wurde es zunehmend unbehaglich. Er unterbrach "Der Oma?" Regina schüttelte den Kopf. Hubertus antwortete unwirsch: "Der Katze natürlich. Du wirst albern. Da hat sie mich auf einen schweren Fehler hingewiesen. " Regina fiel ein: "Ich habe ihm erklärt, dass es die männliche Art ist, weibliche Wesen zu quälen. Warum haben sie zum Beispiel keinen Kater genommen?" Hubertus nickte. "Erst viel später habe ich begriffen, was wir damals in deinem Alter angerichtet haben. Davor wollen wir dich bewahren."


Dominik überlegte angestrengt, bis er sich zu der Erwiderung entschloss:" Aber wir haben doch Keinen gequält. Es hat lediglich gestunken." Regina klappte das Buch ärgerlich zu. "Mir stinkt es auch", sagte Sie und fuhr fort, "anscheinend muss hier gründliche Basisarbeit geleistet werden. Es ist gut, du kannst jetzt nach Hause gehen." Hubertus hatte sich eine Seite Notizen gemacht und nickte zustimmend.


Auf dem Weg zum Elternhaus traf Dominik eine Katze. Ängstlich duckte sich das Tier in das hohe Gras im Ödland. Er lockte es und sprach auf die Katze ein: "So ein Blödsinn, dir eine Dose an den Schwanz zu binden. Komm doch her, damit ich dich streicheln kann!" Aber die Katze verschwand. Zu Hause angekommen empfingen ihn die Eltern sehr freundlich. Er durfte sogar mit Yvonne im Fernsehen die Kindersendung anschauen. Keine Fragen, wie er den Schultag verbracht habe, ob er auch heute für eine bessere Welt gekämpft habe. So brauchte er auch keine Geschichten zu erfinden, damit die Eltern zufriedengestellt wären. So ging er später auf sein Zimmer und spielte mit dem Bauernhof. Dort warf er alle Holztiere auf einen Haufen und modellierte mit den Händen eine Gaswolke. "Cyclon B", murmelte er beschwörend. Er ließ sich auch nicht stören, als der Vater für einen Augenblick hereinschaute. Nebenbei hörte er Gesprächsfetzen: "Das beschäftigt ihn jetzt. Also ist noch nicht Alles verloren."


Des abends verließen die Eltern das Haus, um an dem Treffen der Selbsthilfegruppe "Anders denken und aktiv steuern ", genannt "Andast" teilzunehmen. Christiane schaute noch einmal in sein Zimmer und verabschiedete sich mit den Worten: "Nächste Woche wirst du häufiger Wolfgang besuchen. Er möchte sich gern mit dir unterhalten."


Die Garagentür fiel ins Schloss. Yvonne kam kurz darauf zu ihm in das Zimmer. Sie war barfuß im Nachthemd. "Los beeile dich, ich ziehe mich wieder an und dann lass uns nach unten gehen. Gleich kommt ein geiler Krimi auf dem Ersten." Dominik brummelte noch etwas, von nicht vorhandener Lust, aber die Aussicht ungestört fernzusehen verlockte schon.


Währenddessen begann Christiane im Auto ein Gespräch: "Die Prognose von Regina war heute, am Telefon, sehr ungünstig. Es scheint bei Dominik ein traumatisches Erlebnis aus der Kindheit nicht verarbeitet worden zu sein. Ich denke, es ist die Sache mit der elektrischen Eisenbahn." Draußen begann es zu nieseln. Hans-Jürgen schaltete die Scheibenwischer ein. Langsam antwortete er: "Das war ein Fehler meines Vaters. Er wollte den Kindern etwas Gutes tun. Obwohl ich ihm mehrfach sagte, dass die Kinder aufgeklärt sind. Sie wüssten, wie der Atomstrom aus den Gleisen strahlt. Aber er war davon nicht abzubringen." Christiane ließ nicht locker: "Ich habe viel Mühe gehabt, ihnen das zu verleiden. Aber offenbar sind sie von dem Technikfetischismus unserer Zeit infiziert worden." "Ja, vielleicht", stimmte nachdenklich Hans-Jürgen zu, "aber heute Abend hat er mit seinem Bauernhof gespielt. Alle Tiere lagen auf einem Haufen, wie ein Scheiterhaufen. Was sagt uns das?" Deutlich war ein erleichtertes Aufatmen von Christiane zu hören. "Da hat er sich bestimmt mit der modernen Massentierhaltung auseinandergesetzt. Ich glaube, das macht mich froh. Es muss nur sein Bewusstsein stärker geprägt werden."


Sie hatten ihr Ziel erreicht. Vor dem einsamen Landhaus, das ursprünglich als Scheune diente und nun zu einer komfortablen Wohnstätte umgebaut war, parkten etliche Wagen. Das Wohnmobil von Michael, neben dem Porsche von Rolf. Der Oppositionsgeist der Gruppe hatte wieder Vaters Wagen genommen. Obwohl die Gruppe jenes Fahrzeug als infantiles Phallussymbol gebrandmarkt hatte, ließ es Rolf sich nicht nehmen, damit vorzufahren. Hans-Jürgen nahm sich vor, mit ihm darüber einmal unter Männern zu reden. Sie betraten das Wohnzimmer des Hauses, wo etwa zehn Leute versammelt waren. Eine angeregte Diskussion über Kürbis-Bratlinge in Dill-Sauce empfing die neu Hinzugekommenen.


Bevor jedoch Hans-Jürgen von den akuten Problemen mit Dominik berichten konnte, erklärte Heiner, der zum Gruppenleiter gewählt worden war, dass man/frau leider auf die Teilnahme von Hubertus und Regina verzichten müsse, was eigentlich sehr schade sei, denn gerade heute sollte doch die Gruppe nachgucken, was Regina immer so verletzte, wenn Hubert vor dem Schlafengehen mit heruntergezogener Unterhose auf der Bettkante saß und las.""Was ist denn dazwischen gekommen?" fragte Gisela. "Die wurden zu einer Spontan-Demo alarmiert." Heiner zuckte mit den Schultern. Doch Michael reckte sich in dem Korbsessel auf. Seine grauen Augen sahen zwar freundlich aber auch bestimmend auf die Fragende: " Mich würde einmal interessieren, warum du so fragst? Da bemerke ich eine gewisse Aggressivität ." Gisela schaute etwas hilflos zu Hans-Jürgen, doch Christiane bemerkte den Blick und setzte nach: "Ist es nicht ein unterbewusstes Bedürfnis, Lebensläufe zu überwachen aus dem feeling einer Verlassenheit?" Gisela geriet ins Stolpern, sie habe sich nur für den Anlaß des Fernbleibens interessiert, was ja auch für die Gruppe wichtig wäre. Heiner nickte. Da fiel Rolf ein: "Ich denke, Fragen sind eine andere Form des Herrschaftsanspruches. Der Frager täuscht ein eigenes Anliegen als öffentliches Interesse vor. Ich empfinde dabei die plötzliche Aggression als ausgesprochen vordergründig. Denn vorher hattest du dich an den Gesprächen, die von allgemeiner Bedeutung waren, kaum beteiligt. Jetzt wird ein neuer Kontrapunkt gesetzt. Was empfindest du dabei?" Heiner hob den Finger: " Rolf hat da etwas sehr wichtiges gesagt, Wir sollten uns fragen, was bezwecke ich mit meinem Anliegen? Ist es, analytisch betrachtet, Wissensdurst, oder Ausdruck des begrifflichen Unvermögens? Dazu sollten wir Statements erarbeiten, um den wahren Kern herauszuschälen." Waltraud löste sich aus der Umarmung von Michael und ihre Miene wurde ernst. "Ich habe bisher zugehört. Aus Giselas Frage war eindeutig eine verbitterte Komponente zu hören. Wir sollten uns bewusst werden, dass unsere Probleme die Kommunikation unterstützen, wenn nicht gar bedingen. Was ist das Problem? Hubertus, oder die Neugier zu gesellschaftlich wichtigen Vorgängen, wie diese Demo?" Die Angesprochene zupfte verlegen an ihrem baumwollenen Rock. Dann strafften sich ihre Gesichtszüge: "ich vermag durchaus Sachliches von Emotionalen zu trennen. Eure Fragen verstehe ich nicht." Wolfgang lächelte: "Gisela, wir begreifen ja deine Reaktion. Es ist schwer für dich, unsere Analyse zu akzeptieren, aber es gilt, dass du den Ursprung deiner Aggressivität erkennst. Du möchtest doch spannungsfrei leben. Dabei wollen wie dir helfen!" Heiner schaltete sich ein: " Diese Hilfe kann aber nur im gruppendynamischen Rezeptionsprozess entstehen. Deshalb muss sich jeder Einzelne der Gruppe gegenüber öffnen. Bei Dir, Gisela, ist es noch nicht soweit." Hans-Jürgen unterbrach: " Das ist es. Mir geht es es da ähnlich. Ich habe da so eine Sperre, mich Gisela völlig zu öffnen, ihre Unnahbarkeit hindert mich, ihr wahres Ich zu erkennen.," Christiane wollte soeben etwas erwidern, denn diese Offenbarung ihres Mannes behagte ihr gar nicht, da wurde die Tür des Wohnzimmers vorsichtig geöffnet. Hubertus steckte seinen Kopf in den Türspalt: " Gut, dass ihr versammelt seid. Ich mache zwar die auch für mich wichtige Sitzung kaputt, aber ich bin völlig fertig." Heiners Frau war aufgesprungen, um dem Neuankömmling eine Tasse Flachsblütentee anzubieten. "Hier stärke dich erst einmal, du siehst ja furchtbar aus." Hubertus dankte schwach: " Wir wollten doch zur Demo nach Wuppertal. Doch unser VW-Bully ist bei Bergheim zusammengebrochen." "Was ist denn mit Regina", wollte Rolf wissen. Hubertus nahm einen Schluck Tee. "Sie wartet dort. Ich habe mich auf den ganzen Weg zu euch gefragt, was mag sie wohl empfinden?" "Egal", erwiderte Heiner, "wir werden dies als praktische Umsetzung unserer Gruppenarbeit gestalten. Helfen wir Hubertus und Regina!" "Worauf warten wir noch?" rief Gisela. "Ich bleibe bei den Kindern", verkündete Heiners Frau. Der nickte zustimmend. Während die Gruppe nach draußen ging, nahm Heiner Gisela beiseite: "Dies Äußerung eben von dir, du, das finde ich hervorragend. Ein gewaltiger Fortschritt." Gisela strahlte.


Ein Nieselregen ging auf die Gruppe nieder, als sie zu den Autos liefen. Christiane sprach Wolfgang an: "Du, wir haben doch über Dominiks Probleme gesprochen. Das wäre sehr wichtig für ihn, wenn du da etwas erreichen könntest." Wolfgang strich Christiane über die Haare: "Mach' dir keine Sorgen, das kommt alles ins Lot", sagte er zuversichtlich.


Nach dem ersten Besuch bei Wolfgang, stand für Dominik sein Urteil fest:"Hier gehst du nicht freiwillig hin!" Es gab weder interessante Spiele noch Gespräche. Lediglich Fragen waren zu beantworten. Wenn er wissen wollte, warum er eine Frage wie jene beantworten sollte: " Hast du gern als Kind auf dem Nachttopf gesessen?" erfolgte die Gegenfrage: "Warum ist das jetzt wichtig für dich?" Das erschien ihm idiotisch. Er konnte sich kaum daran erinnern. Statt eine Erklärung zu erhalten, wurde ihm wieder eine Frage vorgelegt. Er solle doch nur über seine Gefühle berichten. Da traute er sich sein Unbehagen zu äußern. Er könne nicht begreifen, wozu das Bohren in seiner Vergangenheit dienen solle, wenn er selbst nicht den Sinn dazu einsähe. Das kleidete er in Ausdrücke, die auch sein Unbehagen ausdrückten. Wütend gab er auf eine weitere für ihn idiotische Frage zurück: "Was soll' der Scheiß?" Da klappte Wolfgang verärgert seinen Notizblock zu und meinte: "Das hat ja wohl alles keinen Sinn!" Dominik durfte von dem Sofa aufstehen und nach Hause gehen.


Tags darauf rief Karli bei ihm an. Aufgeregt teilte er ihm mit, er habe jetzt ein Waschflasche besorgt, womit man jetzt einen Feuerlöscher bauen könnte. Während die Beiden miteinander sprachen, kam Christiane vorbei. Sie fragte ihn, mit wem er telefonieren würde. Als sie den Namen Karli hörte, nahm sie den Telefonhörer aus seiner Hand und beauftragte Karli sofort die Mutter an den Apparat zu rufen. Wenige Minuten später war ihr Wunsch anscheinend erfüllt worden. Dominik hörte zwar nicht die Entgegnung von Karlis Mutter, aber dafür die Stimme Christianes. "Frau Zensmann, es geht hier um Dinge von existentieller Wichtigkeit. Mein Mann und ich haben dafür nicht gekämpft, dass mein Sohn Chemie betreibt, sondern sich schon als Kind dagegen zu wehren weiß. Reicht Ihnen das noch nicht, dass unsere Umwelt verpestet und vergiftet ist? Sie unterstützen mit solchem Spielzeug, welches von der Industrie aus eindeutiger Absicht hergestellt wurde, das Seveso in Ihrem Kinderzimmer! Das macht mir Angst, Frau Zensmann. Ihr Mann ist Ingenieur habe ich erfahren. Das sind doch Jene, die uns weismachen wollen, wir könnten mit einem Restrisiko leben. Wie wollen Sie dafür die Verantwortung dafür übernehmen, dass mein Sohn sich jetzt in psychotherapeutischer Behandlung befindet?"


Dominik ging in sein Zimmer. "Das ist es also, warum ich zu Wolfgang muß, " sagte er zu sich. "wie hieß das, psychotherapeutische Behandlung?" Im Geiste buchstabierte er das Wort noch einmal. Als er an Yvonnes Zimmer vorbei ging, schaute er hinein. Sie saß dort auf dem Fußboden und war damit beschäftigt, aus einem Ausschneidebogen ein Pappmodell für einen Biogenerator zu fertigen. "Weißt du", fragte er, " was eine psychotherapeutische Behandlung ist?" Yvonne ließ sich nicht stören. Nach einer Weile antwortete sie: "Na klar, Tante Ursula musste doch auch so ein 'Psycho-Dingsda' machen. Dazu haben sie doch unsere Eltern überredet, weil sie nicht ganz richtig im Kopf war. Sie hat einen Heißhunger auf richtiges Fleisch gehabt, obwohl es doch mit Hormonen verseucht ist. Ich habe übrigens auf dem letzten Geburtstag von Petra auch Hamburger gegessen. Sag' aber nichts darüber, denn mit Ketchup schmeckte es geil. Abgemacht?" Dominik nickte. Er hatte aber keine Lust das Thema zu vertiefen und verzog sich in sein Zimmer. In seinem Jugendlexikon fand er unter Psychotherapie den Begriff 'Seelenheilkunde'. Wovon wollte man ihn heilen, wenn er sich gar nicht krank fühlte? Er stellte das Buch in das Regal zurück. Plötzlich wurde aus dem Wohnzimmer sein Name gerufen. Widerwillig stiefelte er nach unten.


Feierlich schaute ihn Hans-Jürgen an. "Dominik, du weißt, dass wir Eltern Wert auf Vertrauen untereinander legen. Wir vertrauen dir ganz einfach, dass du dich in Zukunft nicht mehr mit Karli treffen wirst." "Warum?" gab Dominik zur Antwort. Christiane räusperte sich, offenbar um ihren Ärger zu unterdrücken: " Sieh' einmal, wenn du mit Menschen zusammenarbeitest, die nicht verstehen wollen, was unsere Welt wirklich bewegt, dann ist es sinnlos sich mit ihnen zu beschäftigen. In ihrer Unwissenheit werden sie immer versuchen, dich zu überzeugen. Manchmal gelingt es ihnen aus Bauernschläue auch gute Argumente zu finden. Gehst Du darauf ein, so wird deine Position unsicher. Also muss man sich davon fernhalten, oder diese Leute aktiv bekämpfen." Hans-Jürgen nickte zustimmend. "So etwas hast du bei uns noch nie kennengelernt. Wir haben in eurem Interesse immer darauf geachtet, dass Ihr solchen Widersprüchen nicht ausgesetzt werdet. Das fiel uns manchmal schwer, aber ich denke, das Opfer hat sich bisher gelohnt." Du bist alt genug zu erkennen, dass unsere Opfer für eine bessere Welt nicht vergebens waren. Darum erwarten wir auch von dir eine gewisse Anerkennung. Aber, was soll 's du bist unserer Sohn, da kann ich mir weitere Worte sparen." Dominik fühlte in sich eine Barriere entstehen. So wie Raubritter sich auf ihrer Burg verschanzten, spürte er die Pfeile der Belagerer, aber er wollte sich nicht preisgeben. "Dafür soll ich den einzigen Freund von mir verlassen? Der nicht über meine Pausenbrote lästert, sondern mir von seinem Salami-Baguette abgibt?" Er kämpfte mit den Tränen. Christiane zuckte mit den Schultern und wandte sich an Hans-Jürgen: "Da hast Du es. Panem et circensem. Gib dem Pöbel ein chemisches Experiment und es knallt und zischt, sie klatschen Beifall und 12 Jahre guter pädagogischer Erziehung sind ausgewischt." Dominik fand das witzig und rief: "Das reimt sich sogar!" Hans-Jürgen wurde ärgerlich. "Deine Albernheiten habe ich satt. Wir können die letzten Tage nicht mehr ruhig schlafen, und du machst dich noch lustig darüber. Christiane hat sogar Deinetwegen die Seminarreihe "Mann bleibt Mann trotz Mutters Erde nachhaltiger Erschütterungen" platzen lassen, um deinem Problem in der Gruppe Vorrang zu geben. Ist dir das überhaupt jemals klar geworden? Wir Männer konnten den Widerspruch in unserem Wesen nicht ausdiskutieren, in diesem Seminar hätten wir den Versuch einer Lösung spüren können. Denn gerade jetzt sind die Tage des Aszendenten von Neptun im Gleichklang mit der Venus, jenem kosmischen Ying und Yang,was uns zur vollendeten Vereinigung hätte verhelfen können, dieses wichtige Datum haben wir deinetwegen verpasst. Findest Du das lustig?" Dominik überlegte anstrengend: "Also früher habt ihr auch immer gerammelt, ohne das Ding-Dong. Ihr habt mir doch selbst erzählt, Yvonne wäre so nebenbei entstanden." Sein Vater lief rot an und verzerrte das Gesicht. "Schluss jetzt", herrschte Christiane. Der Kerl ist durch die Eisenbahn deiner Eltern so abgefahren, dass sich jegliche Erörterung erübrigt. Das darfst du mit deiner Erbmasse klären. Ich verspüre den Zenit von Jupiter mit Frau Mondin, und möchte mir das nicht verderben lassen. Hans-Jürgen, wenn uu mir nicht Zeit deines Lebens etwas vorgemacht hast, dann lass uns Mutter Erde ein Opfer bringen." Hans-Jürgen entgegnete schwach: "Dominik, es war gut, dass wir darüber gesprochen haben. Ich bin stolz auf dich, dass du unsere Motive begriffen hast. Wir müssen uns jetzt mit deiner Mutter beraten. Am besten, du gehst auf dein Zimmer und denkst auch selbst darüber nach. Morgen kannst du uns etwas über deine Fernhaltungsstrategie von Karli berichten."


Dominik war erleichtert. Denn es war noch recht glimpflich für ihn abgegangen. - Aber, Karli war sein Freund. Ihn liebte er, neben Yvonne, obwohl sie zwar zwei Jahre jünger war, verstand sie ihn ohne ausführliche Erklärungen. Als er in sein Bett kriechen wollte, fand er es besetzt. Yvonne hatte sich mit ihren Kuscheltieren dort breitgemacht. Missmutig raffte er sich ein Stück Bettdecke zurecht. Davon wurde seine Schwester wach: " "Was haben sie dir erzählt?" fragte sie. Dominik war sehr müde. So gern, wie er seine Schwester hatte, aber jetzt bitte keine weiteren Diskussionen. "Das Übliche," antwortete er. Yvonne gab sich damit nicht zufrieden: "Also haben sie dich vollgesülzt. Warum bist du dann schon hier?" Dominik dachte, verdammte Weiber, aber kuschelte sich an Yvonne, während er fortfuhr: "Sie laberten etwas von Neptun im Aszendingsbums von Venus. Mit Karli darf ich nicht mehr reden." Yvonne blieb gelassen: "Das Eine heißt, Hans-Jürgen darf einen weiteren Anlauf auf unser zukünftiges Geschwisterteil nehmen, und du musst deinen Freund fallen lassen." Dominik war außer sich: "Das ist doch wohl nicht dein Ernst!" rief er empört. Yvonne lachte. "Das Eine klappt genau sowenig, wie das Andere. Denn bei Petra habe ich eine Ausgabe der 'Applaus' gelesen. Da gab es eine Rubrik: "So wird dein erstes 'Mal zum Erlebnis." Dominik wurde neugierig: "Was stand da?" fragte er. Yvonne räkelte sich. "Also, so wie das unsere Eltern anstellen, brauche ich in den nächsten zehn Jahren keine Windeln für unser jüngstes Geschwisterchen zu wechseln." Dominik brummelte etwas von: "Das hätte mir auch noch gefehlt." Aber Yvonne gab sich damit nicht zufrieden: " Du hast es gut, denn Du bist ja mit Chemie verseucht. Bei deinen Fingernägeln würden sie dich niemals in die Nähe eines Säuglings lassen." Dominik war verwirrt. "Hä?" fragte er. Langsam kam ihm ein Gedanke:" Vielleicht kann ich dir helfen, dann sollen die Beiden sich doch um das Blag selber kümmern, wenn du auch infiziert wirst, von Karli." Yvonne stutzte: "Heißt das etwa, wir bauen zusammen den Feuerlöscher? Das ist aber geil." Dominik umarmte seine Schwester. Im Grunde genommen war sie ein hervorragender Kumpel, obwohl sie manchmal nervtötend sein konnte. Das müsste er nur noch Karli beibiegen. Als er einschlief, sah er ein quäkendes Bündel vor sich, ein Produkt von welcher Konstellation? Scheiß' drauf, dachte er noch und dann verschwand auch dieses Bild vor seinen Augen.


Am nächsten Morgen erinnerte ihn Christiane an das gestrige Gespräch, nicht ohne lobend zu erwähnen, wie erwachsen er eigentlich sei. Auf dem Schulweg dachte Dominik über das Erwachsen-sein nach. So wie seine Eltern, wollte er das wirklich? Zugegeben, es gab selten größere Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Aber ständig zu Büchertischen, Demos und Kundgebungen mitgeschleppt zu werden. Das war auch langweilig. Zwar wurde da manchmal auch mit den Kindern gespielt. Aber "Fangt den bösen Fabrikdirektor", oder "GAU in Büllesheim" war auch nicht immer spannend. Stets griff ein Erwachsener in das Spiel ein und erklärte die weitere Handlung. Eigene Ideen wurden verbessert, oder als doof hingestellt. Plötzlich riss ihn ein Pfiff aus seinen Gedanken. Er kam von Karli. Er stand neben ihm an der Ampel und fragte: "Was war das denn, gestern? Meine Mutter wurde richtig ärgerlich. Deine Alte behauptete, wir würden mit Chemie hantieren, um zu töten." Dominik schüttelte ratlos den Kopf. Er entgegnete: "Ich habe ihnen nur von dem Chemiebaukasten erzählt." "Der ist doch wohl toll, oder?" fuhr Karli fort, " Deine Eltern müssen einen an der Waffel haben. Wir können jetzt einen Feuerlöscher bauen. Was wir nur noch brauchen, ist ein Feuer." Dominik konnte nichts erwidern, denn er dachte noch an die Redewendung: "einen an der Waffel haben." Das sollten seine Eltern sein. Daran war ein Körnchen Wahrheit. Deshalb einen Freund verlieren? Zum ersten Male hasste er seine Eltern. Warum wurde er vor eine solche Entscheidung gestellt? Er schob diese Gedanken beiseite. Denn er hatte einen Plan. "Karli, meine Schwester möchte bei dem Feuerlöscherbau mit machen. Ich habe auch schon eine Idee. Wir werden im Kamin ein Feuer anfachen und meinen Eltern den Feuerlöscher zeigen, wie er funktioniert. Dann werden sie einsehen, dass wir Forscher sind und keine Vergifter." "Na meinetwegen, wenn Yvonne Spaß daran hat. Aber wir brauchen noch Säure. Mein Vater erlaubt mir nicht mehr Salzsäure zu benutzen, weil der Teppich ein Loch hat." "Ich schaue einmal nach, was sich bei uns zu Hause auftreiben lässt", entgegnete Dominik. Sie verabredeten sich für den Nachmittag bei der alten Zuckerfabrik. Dort wollten sie den Feuerlöscher zuerst ausprobieren, denn Karli meinte abschließend: "Peinlich, wenn wir deinen Eltern das Feuer im Kamin löschen wollen und nichts tut sich."


Dominik fand auf dem Mittagstisch Löwenzahnsalat mit Sonnenblumenkernen und gebratene Steckrübe im Kleiemantel vor. Das aß er nun wirklich nicht gern, aber Christiane meinte, dass es sehr vitaminreich sei. Als sie für kurze Zeit den Raum verließ, fragte Yvonne: "Na, was ist? Kann ich mitmachen bei Euch?" Dominik nickte: "Aber ich brauche noch Säure dazu. Ich weiß nicht, wo ich die herbekommen soll?" Christiane rief aus der Küche: "Yvonne, heute Nachmittag musst Du die Altmarinaden entsorgen!" Das Mädchen antwortete:"Jaha!" Dann flüsterte sie zu Dominik: "Ich hab 's, das mit den Salatsoßen hat mich darauf gebracht. Wir haben doch den Bambus-Mandarinen Essig. Den setzt doch Hans-Jürgen immer im Keller an, weil er so scharf ist." Dominik war erleichtert und grinste:" Du meinst der Essig ist scharf..." Yvonne musste nun lachen und fragte: "Wann trefft Ihr Euch? Drei Uhr? Gut, dann bringe ich die Altmarinaden weg und Du kannst die Essigessenz aus dem Keller holen. Die ist im Giftschrank mit der Atomsonne drauf.Die Flasche steht neben dem Brennspiritus." "Und wo ist der Schlüssel?" fragte Dominik?

"Das lass man 'mal meine Sorge sein", antwortete Yvonne und stand vom Tisch auf.


Das Sammeln der Marinaden, um sie umweltgerecht zu entsorgen, war eine Idee der Selbsthilfegruppe gewesen. Hubertus hatte in einer Kampfabstimmung durchgesetzt, die ölhaltigen Soßen nicht mehr im Klo zu verklappen, sondern dem Sondermüll zuzuführen. Als zum ersten Male eine Delegation der Gruppe diese Abfälle bei der Altölannahme der Mülldeponie abliefern wollte, um ein deutliches Zeichen zu setzen, Yvonne und Dominik mussten abwechselnd ein Transparent tragen, mit der Aufschrift: 'Kein Öl ins Feuer oder ins Wasser!', hatte der Aufseher der Mülldeponie seinen Hund auf die Gruppe gehetzt und geschrien: "Verarschen könne er sich selber!"


Dominik war begeistert. "Wenn ich so etwas zu Hause sage, dann gibt es eine endlose Diskussion, oder Wolfgang will wieder wissen, ob ich als Kind gern auf dem Nachttopf gesessen habe." Nach dem die Gruppe in einer Sondersitzung mögliche Kampfmaßnahmen gegenüber dem faschistoiden Aufseher ausgiebig diskutiert hatte, wurde dann beschlossen, dass Yvonne "einen Beitrag zum giftfreien Leben" leisten müsse. Seither wanderte sie in unregelmäßigen Abständen zum Müllplatz. Der Aufseher ließ sie auch mit dem Hund spielen und meinte kopfschüttelnd: "Für Deine verschrobenen Eltern kannst Du ja nichts. Gieß das Zeug 'mal dahinten hin! Er deutete auf einen Haufen, wo ein Schild mit der Aufschrift stand: "Grünabfälle". Sie streichelte noch einmal den Hund und verabschiedete sich von dem Mann: "Heute habe ich nicht soviel Zeit. Nächstes 'mal gehe ich mit Hektor wieder spazieren." Der Mann lachte und ging in sein Büro zurück. Er schüttelte den Kopf: ' das Mädchen war wie seine Enkelin, aber so vogelige Eltern, also wenn meine Tochter so wäre ...‘, ein LKW hupte vor der Einfahrt und der Gedanke wurde nicht mehr zu Ende geführt.


Indessen kam Yvonne etwas außer Atem bei der alten Zuckerfabrik an. Hinter einem Erdwall waren Karli und Dominik damit beschäftigt, ein Glasgefäß mit einem Stopfen zu versehen. Erst war Yvonne enttäuscht. Sie hatte sich eine große rote Dose mit Schlauch vorgestellt, aber das konnte ja noch kommen. "Hey, Ihr Zwei", rief Sie. Die Jungen zuckten zusammen und Karli fasste sich als Erster: "Mann, hast du uns erschreckt!" Yvonne fragte: "Wo habt ihr denn den Feuerlöscher?" Karli setzte eine ernste Miene auf: "Das ist ein Modell, gewissermaßen eine Simmelation." "Simulation", verbesserte Dominik. "Egal", gab Karli zurück, " also mein Vater sagt dazu Waschflasche. Hier siehst Du die Düse zum Sprühen, wo das Glasrohr eng wird. Auf der anderen Seite haben wir über ein Stück Schlauch und Korken ein Regagenzglas..." "Reagenzglas", korrigierte Dominik unbeirrt. "Lass' ihn doch reden, wie das Dingsbums heißt ist doch nicht so wichtig", unterbrach Yvonne. Karli nickte, denn im Deutschunterricht tat er sich schwer. Seine Mitschüler machten sich oft darüber lustig. Lediglich Dominik half ihm stets, weshalb er ihn auch zu seinem besten Freund erklärte. "Im Reagenzglas ist Eure Essig-Essenz. Wenn wir die jetzt in die Soda-Lösung kippen, dann entsteht Kohlendioxid, was das Wasser aus der Düse sprüht. Damit wird das Feuer gelöscht. Das Gas erstickt auch später alles, was noch glimmt. Denn es ist schwerer als Luft. " Yvonne war fast sprachlos. Da stimmte doch etwas nicht. Sie hakte nach: " Du, ich habe mit Dominik einmal bei der Protestveranstaltung gegen das neue Kohlekraftwerk aus Draht und Papier eine Glocke gebaut, um das Treibhausgas Kohlendioxid darzustellen, wie es aufsteigt und die Sonnenstrahlen abhält. Man hat uns gesagt, dass unter der Glocke sich alles aufheizt und wir später einmal durch den schmelzenden Nord- und Südpol einmal ertrinken müssen." Karli zuckte die Schultern. Dominik fiel ein: "Vielleicht haben sich unsere Eltern geirrt. Ich habe in der Anleitung vom Baukasten gelesen, dass sich das Gas auf dem Boden ausbreitet. Alles wissen die anscheinend auch nicht." Karli nahm einen Lappen und umwickelte das Gefäß. "Mein Vater hat gesagt, falls die Waschflasche platzt, hält der Lappen die Glassplitter auf, damit man sich nicht verletzt. Dominik, los jetzt! Wasser Marsch!"

Dominik nahm vorsichtig das Reagenzglas und kippte den Inhalt in die Waschflasche. Ein dünner Strahl quoll aus der Düse. Plötzlich entstand ein feiner Sprühnebel. Als ob jemand auf einen Gartenschlauch den Daumen setzte, sprühte das Wasser in dünnen Schleiern. "Schaut!" rief Yvonne, "es gibt darin sogar einen Regenbogen." Im Sonnenlicht des Herbsttages fanden sich in dem Sprühnebel die Farben des Spektrums. "Cool", staunte Karli. "Das müssen wir unbedingt unseren Eltern zeigen", rief Dominik. Nach etwa einer Minute war das Schauspiel beendet. Die Drei verabredeten sich für den Freitag. "Da kommen unsere Eltern von dem Elektrosmog Seminar um 17 Uhr nach Hause. Da zeigen wir das ihnen," beschloss Yvonne. Sie besprachen noch die Vorbereitung und trennten sich.


Am Freitag schürte Dominik das Feuer, während Yvonne und Karli die Vorbereitungen zu diesem Experiment trafen. Als sie fertig waren, meinte Yvonne: "Ich empfange unsere Eltern und sage ihnen, dass wir etwas sehr Wichtiges vorführen wollen. Dann begrüßt du, Dominik, sie mit 'es brennt im Kamin' und ich frage ängstlich 'was können wir dagegen tun?'. Dann ist Karli dran. Du verkündest bestimmt 'wir haben eine Waffe gegen Feuersbrünste. Wasser marsch!' Dann muß Dominik das Readingsbums reinkippen und das Feuer ist aus. Könnt Ihr das behalten?" Die Jungen nickten. Doch Yvonne gab sich nicht damit zufrieden. "Das üben wir noch einmal, ok?" Es klappte hervorragend. Das Feuer im Kamin erlosch und Dominik mühte sich lange, es wieder anzufachen.


Das Garagentor wurde geöffnet. "Jetzt kommen sie", zischte Yvonne. Es klappte wie am Schnürchen. Die eben noch lodernden Flammen fielen schlagartig in sich zusammen, doch das Wasser schwappte aus dem Aschenbehälter und eine schwärzliche Brühe ergoss sich auf das Parkett. Hans-Jürgen stand regungslos da, während Christiane brüllte: "Unser gutes Natureschenparkett, ohne Tropenholzanteil. Ihr besudelt unser gemeinsames Aufbauwerk mit Giftgas." Sie würgte und hustete. "Hans-Jürgen", schrie sie, "öffne die Fenster und hole den Mundschutz aus der Hausapotheke!" Das waren die letzten verständlichen Worte. Danach erschütterte ein unablässiges Schreien das Wohnzimmer, das nach einer Weile in ein heftiges Weinen überging.

Hans-Jürgen sah so zornig aus, wie ihn die Kinder noch nie erlebt hatten. Er hob zwar seine Stimme kaum, doch sie zitterte vor Wut: "Was habt ihr eigentlich da angerichtet? Ist euch das überhaupt klar? Yvonne und Dominik, ihr verschwindet auf Eure Zimmer und bleibt dort, bis ich Euch rufe. Du, Karli verlässt augenblicklich das Haus, wenn ich dich noch einmal hier sehe, rufe ich die Polizei. Ist das klar?" Karli senkte den Kopf und schlich sich aus dem Haus.


Eine Stunde später betrat Gisela das Gebäude. Kein Laut war mehr zu vernehmen. Dominik hörte nur, als sie sich von seinem Vater verabschiedete, wie jener noch nachfragte, ob er denn getrost den Rosmarin und die Zitronenmelisse im Garten ernten dürfe, wo doch das Giftgas aus dem Kamin bestimmt in die Umwelt gekrochen sein müßte. Gisela raunte ihm, aber für Dominik vernehmlich zu: "Das brauchst du ja den Kindern nicht zu erzählen. Es ist alles völlig ungefährlich, aber sie müssen daraus lernen. Wenn Dominik schon früh begreift, dass sanfte Technik in Verbindung ganzheitlichen Fühlens uns wieder eins mit der kosmischen Schöpfung werden lässt, dann ist das unendlich wichtiger als die besten chemischen Kenntnisse es vermögen." Dann wurde es wieder still im Hause.


Am nächsten Morgen saß er mit dem Vater und Yvonne am Frühstückstisch. Kein Wort fiel über die gestrigen Vorgänge. Seine Mutter erholte sich schnell, aber es schien, als gehe ein Riss durch die Familie. Lediglich Yvonne schüttelte den Kopf gelegentlich, aber sie kam auch nicht mehr auf den Vorfall zurück. Karli stellte nur kurz fest; " Meine Eltern haben gesagt, wenn du Lust hast, kannst du zu uns kommen. Sie werden nichts deinen Eltern sagen." Das Angebot nahm Dominik gern an. Wochen vergingen, bis seine Eltern ihn eines Abends in das Wohnzimmer zitierten. "Wir haben uns sehr lange Gedanken um deine Zukunft gemacht. Es gibt in Frechen eine Schule mit Internat. Sie heißt "Kraftquell". Dort kann dir hervorragend geholfen werden. Das Essen dort ist Vollwertkost und du hast noch zusätzlich Unterricht in "Ganzheitlicher Erkenntnis". Es werden jegliche dich beklemmenden Gedanken, warum du zum Beispiel deine Schwester als Mittäterin angestiftet hast, diskutiert und nachempfunden. Auch das Schuldgefühl deine Mutter zutiefst verletzt zu haben, wird nachgelebt. Du kannst nächste Woche dort anfangen." In Dominiks Brust wurde es eng. Karli würde bestimmt nicht dahin mitkommen. Außerdem, was sollte das heißen,Yvonne angestiftet zu haben, oder Schuldgefühl gegenüber seiner Mutter zu empfinden? Er hatte doch lediglich beweisen wollen, dass chemische Experimente auch ihren Nutzen haben können? Doch er konnte sich zu keiner Antwort aufraffen. Seine Mutter lobte ihn: "Ich bin stolz auf einen so vernünftigen Jungen, auch wenn du mir viel Leid zugefügt hast."


Als sie wenige Tage später mit dem Auto in einen Feldweg einbogen, der nicht weit von einem stillgelegten Tagebau entfernt war, fand er ein leicht verfallenes Haus vor. Vor dem Eingang stand ein älterer Mann mit einem Vollbart. Er trug trotz der winterlichen Temperaturen eine Latzhose und ein bunt kariertes Hemd. Er begrüßte zuerst Christiane, die er umarmte und fragte sie: "Ihr habt bestimmt eine furchtbare Reise mit dem Auto hinter euch, aber wie fühlst du dich im Moment?" Christiane sagte mit bebender Stimme: "Jetzt, wo ich weiß, dass Dominik gut aufgehoben ist, da fühle ich in mir eine gewisse Erleichterung. Dann wandte sich der Mann an Hans-Jürgen: "Es wird nicht leicht sein, aber jeden Abend haben wir eine Gruppensitzung. Die Kinder müssen an Fäden ein Pendel in der Mitte des Kreises halten. Wir sehen durch den Ausschlag, den das energetische Feld verursacht, wer heute besonders unter Spannung steht. Dann ist Zeit darüber zu reden. Die dabei aufgestauten Gefühle entladen sich dann. Bisher hat Jeder seine Einheit im Ying und Yang gefunden." Hans-Jürgen nickte. Sie zeigten Dominik sein Zimmer. Sechs Betten standen darin. Ein Junge las in einem Pilzbuch. "Das ist Nikolas", erklärte der Bärtige, "Ach ich heiße Franz-Diethelm. Wir lassen Euch jetzt allein. Nikolas studiert das Innere des Pilzwesens, wie die Kraft des fruchtbaren Bodens durch das Myzel in den Hut gelangt. Aber keine Sorge, wir essen keine Pilze, denn du weißt ja, seit Tschernobyl wird auch in dem Pilz die Radioaktivität aufgesogen wie von einem Schwamm. Doch wir können aus seinem Wesen viel lernen. Nikolas, erzähle doch einmal Dominik, was du schon gelernt hast." Die Eltern umarmten Dominik und sein Vater holte ein Taschentuch heraus, um laut dahinein zu schnauben. Christiane kramte in Ihrer Jute-Tasche und förderte zwei Sandalen zum Vorschein. "Das ist für Dich. Korksohle mit Alpenheu-Einlage ohne Kunstdünger. Das ist gut für Deine Füße. Dann hast Du immer Verbindung mit der Natur. Das tragen hier alle Kinder im Hause." Dominik war das peinlich. Solche Jesus-Latschen gab es zu Hause nicht. Er wurde rot, was sollte Nikolas von ihm denken? Doch aus dessen blauen Augen blitzte etwas auf. Eine kaum merkliche Bewegung mit dem Kopf verriet ihm, dass er sich bedanken solle, aber Nikolas etwas ganz anderes im Sinn hatte. Die Eltern drehten sich nicht mehr um, als sie den Raum verließen. Die Tür fiel ins Schloss und wenige Minuten später waren die Erwachsenen verschwunden. Nikolas drehte sich auf dem Bett herum: "Hast Glück, schläfst neben mir. Denn Rainer ist manchmal sehr aggressiv, dann bleibe ihm fern. Bei mir kann Dir nicht viel passieren. Was hast Du denn ausgefressen, dass sie dich hierher brachten?" Dominik überlegte: "Ausgefressen, gar nichts. Ich habe mit meinem Freund einen Feuerlöscher gebaut. Meine Schwester war auch dabei. Dann wollten wir das unseren Eltern vorführen. Da sind sie ausgerastet." Nikolas lachte: "So ein Ding hätten wir gut gebrauchen können, als wir in Dünnwald am Stadtrand ein Feuer machten. Es war echt geil, so Plastik verschmoren zu sehen. Irgendjemand muss uns verpetzt haben. Plötzlich war da Polizei und brachte uns zu unseren Eltern. Kannst Dir vielleicht ausmalen, was da gebacken war. Jedenfalls haben die mich vollgesallert, bis ich bereit war, hierher zu gehen. Ist eigentlich kein Unterschied zu daheim. Der Fraß ist öde, das Geseire geht den ganzen Tag. Aber wenn Du Dich auflehnst, dann dauert es nur noch länger. Ich sage Dir noch, was Du am Besten antwortest, damit wir abends unsere Ruhe haben." Dominik war zuerst fast gelähmt von Traurigkeit, doch sein Gegenüber erinnerte ihn an Karli. "Was macht ihr denn sonst so?" "Tolle Projekte", gab Nikolas zur Antwort, "Energiefelder an Kräutertees messen, mit dem Erdstrahlendetektor barfuß über den Acker laufen, um den Kontakt zur Erdin zu spüren." "Erde, wolltest Du doch bestimmt sagen", fiel Dominik ein. Nikolas schaute ihn mitleidig an: "Das ist Dein erster Fehler hier, so eine Äußerung zieht ein halbstündiges Einzelgespräch mit Karin nach sich. Da wird Dir beigebogen, daß es d i e Sonne heißt und

d i e Mondin und d i e Erdin, weil alle Drei Leben hervorbringen und daher weiblich sind, oder bist Du schon einmal schwanger gewesen?"


Dominik lachte: "Dazu gehören doch zwei, oder wie sollten ich und meine Schwester wohl auf die Welt gekommen sein?" Nikolas seufzte: "Ich muß Dir noch eine Menge erzählen. Also hier meint man, der Mann ist nur so etwas wie eine Zündkapsel. Danach ruht er ausgebrannt, während das Leben explosionsartig entsteht und bewahrt werden muss. Dafür ist Karin zuständig. Hans-Diethelm ist zwar eine komische Figur, aber heimlich lässt er uns auch Freiheit. So dürfen wir einmal in der Woche in die Stadtbücherei gehen, ohne dass die Bücher kontrolliert werden, die wir mitbringen. Hier!" Er kramte unter der Matratze ein Buch hervor. 'Chemische Experimente für die Schule' stand auf der Umschlagseite. "Da steht eine genaue Anleitung zur Herstellung von Schießbaumwolle und Nitroglycerin. Wenn Du da schon Erfahrung hast, Rainer und ich besorgen schon die Zutaten, aber auf guten Rat können wir nicht verzichten." Dominik erschauerte vor Aufregung: "Also, da kannst du voll auf mich zählen. Sag' mal knallt das wirklich so, wie im Film?"


"Weiß' nicht", antwortete der Angesprochene gleichmütig. "Aber wir wollen hinten den Schuppen damit sprengen, wo sie ihre Schrotmühle aufbewahren, damit diese ekligen Müslis am Morgen aufhören. Einen Bekennerbrief werden wir zurücklassen. Rainer hat sich auch einen Text dazu überlegt. 'Wehe den Pflanzenschändern, die ungestraft zarte Pflanzenseelen morden! Für eine Nahrung aus rein chemischen Substanzen! Solidarität mit allen Wesen aus Mutter Natur!"



  1.   Fassung

            Berka (Wipper) im Oktober 1997



Schlussbemerkung zum Chemie-Baukasten


Das war die Vergleichsstudie zur deutschen Befindlichkeit im zweiten Coronajahr 2021 mit dem Titel „Der Chemie-Baukasten“ aus dem Jahr 1997 anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Galerie „Die Kunstpraxis“ von Inge van Kann in Mechernich (Eifel).


Der geneigte Leser und Hörer möge daraus sein persönlichen Schlüsse ziehen.


Autor, Sprecher war Stephan Ebers, der auch die Musik dazu kreierte.


Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen lassen sich bedauerlicherweise nicht vermeiden und sind systemisch bedingt.


Eine Produktion der“systemix-media“, Gendringen 2021 Nederland