Mona Lisa strickt in Heimarbeit

ein Report zur Entfaltung der blühenden Landschaften des Herrn Dr. Kohl

- oder wie man Jammerossis zeigt, was eine neoliberale Harke ist





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Redaktionsbesprechung in der Lokalredaktion Possenhausen der „Thüringer Nachrichten“. Das Protokoll, erstellt vom Volontär Ralf Lastenschläger
verzeichnet als Anwesende:
Burkhardt Schlichting, Chef vom Dienst
Margarete Thorenz, Redakteurin
Ingo Linselke, Redakteur
Martin Büchner, Junior-Redakteur
Heinz Grabert, Senior-Redakteur
Annemarie Grabert, Redaktionssekretärin
Rudi Hermann, Anzeigenleitung
Helmut Spitz, Fotograf

Unter dem Punkt 3) „Freitagausgabe“ verantwortlich MaT, welches auf die Redakteurin Margarete Thorenz verweist, heißt es: „Änderung der Konzeption wegen Beschwerde der Wirtschaftsförderung“.

In der kühlen Wintersonne fallen Tropfen von den Eiszapfen der Dachrinne, täuschen einen nahen Frühling vor, wie es Burkhardt Schlichting fast träumerisch kommentiert: „Man könnte meinen, es wird schon frühlingshaft im Gelände….“ Heinz Grabert lacht: „Das Thermometer bei mir am Fenster ist im Schatten, es sind frostige minus fünf Grad draußen.“ „Frostig war auch der Telefonanruf von unserem Ortsbürgermeister aus Kerba“, antwortet der Chefredakteur, „in seiner Eigenschaft als Chef der Wirtschaftsförderung hat er mal wieder etwas zu mosern gehabt. Wir hätten angeblich durch einen unbedachten Artikel über Betrugsmaschen von Heimarbeitsfirmen einen Investor abgeschreckt. Dieser in Westdeutschland sehr bekannte Unternehmer will an verschiedenen Orten Heimarbeitsplätze schaffen durch Anfertigen von Strickartikeln auf Top-Niveau. In einigen Thüringer Städten hat er schon eine Niederlassung gegründet. Jetzt frage ich mich, warum wir uns gegen ein solches lobenswertes Projekt wenden sollten? Kann mir das jemand erklären?“ Einen Moment lang herrscht Schweigen, dann fasst sich Ingo Linselke als Erster: "Mir ist das überhaupt nicht bekannt, dass wir in letzter Zeit über Heimarbeit berichtet haben. Margarete, du bist doch hier die Spezialistin für den Aufbau Ost, hast du was davon gehört?" Die Angesprochene schüttelt den Kopf. Der Anzeigenleiter meldet sich: "Ich glaube, ich kann dazu etwas sagen. Vor einer Woche kam da ein junger Mann in einem putzigen Strickpullover, der wohl einmal weiß war, und hat bei uns eine Anzeige aufgegeben. Die Vorlage sah aber sehr amateurhaft aus. Zusammengestoppelt, aber mit pompösen Titel: 'Mona Lisa Art - Kreativ-Studio und Modell Atelier GmbH'. Ich lasse die Anzeige einmal raus suchen. Da ging es um einen Neben- oder Hauptjob zur Bedienung von Strickmaschinen. Es haben wohl auch schon einige Leser darauf geantwortet. Aber ich denke die meisten haben sich direkt an den Inserenten gewendet. Als ich zum Fenster hinaus schaute, sah ich wie der junge Mann in einen schwarzen Benz stieg und ab rauschte."

Der Chef atmet auf: "Dann haben wir ja wohl anscheinend gar nichts mit der Sache zu tun."  Martin Büchner nickt. "Ich meine vor ein paar Tagen im unsäglichen 'Hainleite-Boten' etwas über Heimarbeit gesehen zu haben. Das war unser spezieller Freund Günther Ferkels, der da wieder sein Gift verspritzte." Ingo Linselke amüsiert sich: "Martin, der heißt Faerkers und deine Abneigung gegen Berliner kennt ja hier jeder." "Mir egal , ob der Ferkels, ?Faerkers oder Merkers heißt, der ist aus Berlin, hat keine Ahnung von der Situation hier vor Ort und macht nur Ärger. Der war bestimmt beim "schwarzen Kanal" von Sudel-Ede zu DDR-Zeiten beschäftigt. "Wenn du den "Eulenspiegel" mit Karl-Eduard von Schnitzler zusammenbringst, könntest du vielleicht recht haben." "Leute, macht das bei einem Bier unter Euch aus", unterbricht Burkhardt Schlichting den Wortwechsel, "ich stecke der Wirtschaftsförderung, dass sie bei uns an der falschen Adresse sind und wir machen einfach ein Unternehmensporträt von der "Mona Lisa". Das kann die Margarete zusammen mit unserem Superfotografen am Freitag groß raus bringen." Margarete Thorenz nickt freudig, während Helmut Spitz sich vernehmlich räuspert und ergänzt:" Das ist kein Problem. In der Volkshochschule haben die eine moderne Strickmaschine und ich schnappe mir da ein paar junge Büromäuse, die haben mir vor einer Woche stolz die neuen Strickjacken aus der Manufaktur "Frankenberg" in Göllingen präsentiert. Die Manufaktur kriegt doch diesmal den Innovationspreis unseres Kreises, nachdem wir im letzten Jahr unsere SPD-Tante für ihre Solarzellen ausgezeichnet haben. Die sind dann an der Strickmaschine zugange und das gibt ein schönes Foto." "Ah ja, dann müssen sie nach deinem Geschmack auch vor dem Anlegen der Pullis die BHs ausgezogen haben, das bringt mehr Schärfe in das Foto", lästert Ingo Linselke. Der Chefredakteur haut mit der flachen Hand auf den Tisch: "Meine Herren, meine Dame! Die Redaktionssitzung ist für heute beendet." Der Protokollant schreibt: Ende der Sitzung 11.15 Uhr.

Gegen ein Uhr mittags geht Frau Bechtloff in den Keller des Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung im vereisten Kerba an der Würpe, um den Heizkessel statt mit dem Gestühl aus dem Versammlungssaal der SED-Kreisleitung mit Tschechenbriketts zu füttern. Die Kinder sollten bald nach Hause kommen und es schön warm vorfinden. Als sie wieder die Treppe nach oben geht, bemerkt sie dass der neue Mieter in der Erdgeschosswohnung anwesend ist und beschließt ihn wegen ihres neuen Jobs zu befragen. Sie klingelt und wenig später steht ihr ein noch recht junger Mann von Mitte 30 gegenüber. Günther Faerkers hat schnell ein gutes Verhältnis zu seinen Mietern entwickelt und bittet Frau Bechtloff gleich in sein Arbeitszimmer. Sie beginnt auch sogleich mit ihrem Begehr:"Günther, du hast doch in der letzten Woche im "Hainleite-Boten" was über Heimarbeit geschrieben. Dass man da vorsichtig sein muss und so. Da war doch in den "Thüringer Nachrichten" so eine Anzeige für einen Nebenjob, den man bis zum  Hauptberuf ausbauen kann. Ich habe mal darauf geantwortet und nun will der Herr Baumeister, das ist der Chef von dem Unternehmen, heute Abend vorbeikommen und mit uns darüber sprechen. Der Thorsten kommt auch am Nachmittag aus Kassel zurück. Die können wegen des Wetters nicht draußen weiter arbeiten. Vielleicht kannst du dir das auch anhören? Ich bringe dir gleich mal die Vertragsunterlagen und den Prospekt runter. Die sind nämlich gestern mit der Post gekommen." Günther Faerkers zieht die Augenbrauen hoch. "Ja gern, kannst du machen. Ich schau mir das mal an, aber ich muss heute noch nach Wartern in die Redaktion fahren. Ich versuche es einzurichten." "Danke dir Günther".








Wenig später sieht man den Herrn Faerkers bei dem Freikratzen der Windschutzscheibe eines nicht mehr ganz neuen Ladas. Er hatte ihn äußerst günstig gekriegt, weil der Andrang auf den westdeutschen Fahrzeugmarkt die Preise für Autos östlicher Herkunft in den Keller fahren ließ.  Während gegenüber in der nagelneuen VW-Werkstatt sich ein Mechaniker mit dem Starten eines neuen Golfs abmüht, springt der Motor nach Ziehen der Drosselklappe ohne Probleme an. Nach einer guten ?halben Stunde befindet sich der Journalist in der Redaktion des Hainleiteboten. Viktor Hartenstein war zu DDR-Zeiten Redaktionsmitglied der Bezirkszeitung gewesen. Als kurz nach der Wende die Regional- und Lokalzeitungen unter den westdeutschen Medienkonzernen aufgeteilt wurden, so dass je ein meinungsführender Konzern mindestens eine Bezirkszeitung ohne Konkurrenten erhielt, quittierte Hartenstein den Dienst, obwohl man ihm eine Festanstellung nach nur sechsmonatiger Probezeit in Aussicht gestellt hatte. "Bewährungszeit" nannten das die neuen Chefs. Hinzu kam wenige Jahre später die Kreis- und Gebietsreform, die pikanterweise die Region Possenhausen-Wartern-Aebellehm in zwei Zuständigkeitsbereiche für denselben Landkreis zerteilte. Daher berichteten die "Thüringer Nachrichten" ebenso wie die "Anhaltinische Zeitung" über lokales Geschehen in Possenhausen oder Wartern. Ein Unikum, was eigentlich für die Medienzaren nicht hinzunehmen ist, doch dies nun rückgängig zu machen, das wäre einem Eingeständnis gleich gekommen, dass die westliche Presse- und Meinungsvielfalt nur auf dem Papier besteht. Zu sehr war den Presseleuten die alte DDR-Volksweisheit im Gedächtnis geblieben: "Die freie Presse ist mir lieb und wert, die 'Neue Zeit' ist mir lieb und werter, das 'neue Deutschland' ist mir am Allerwertesten." Kurzerhand gründete Viktor Hartenstein die regionale Anzeigenzeitung - den "Hainleiteboten". Das Blatt wird sehr gern gelesen, da er den richtigen Riecher hatte, was für die Bevölkerung wichtig und lesenswert ist. Besonders der günstige Tarif für Familien- und Kleinanzeigen machen diese Zeitung sehr begehrt. Die Redaktion ist in drei Räumen einer ehemaligen Annahmestelle des DLK untergebracht worden. Damit erbte er sogleich eine erfahrene und weithin gut informierte Bürokraft und ein früherer Mitarbeiter des Dienstleistungskombinats, der ein geschickter Improvisator ist, beschäftigt sich jetzt damit Anzeigenkunden zu gewinnen und ist meist im Landkreis unterwegs. Doch mit der Zeit wuchs dem Chefredakteur die Arbeit über den Kopf, obwohl es Hobbyjournalisten gibt, die ihn mit Vereins- und anderen Berichten versorgen, brauchte er einen Profi. Den fand er in der Person des Günther Faerkers, der sich seine journalistischen Sporen in der Redaktion des "Eulenspiegels" verdiente und jetzt dort wegen seiner spitzen Feder nicht genug deutsch einheitlich tümelnd ist. 






Günther Faerkers ist zufrieden, dass er noch vor dem Einbrechen der Dunkelheit wieder in Kerba ankommt. Die Straßen sind feucht und bei den Temperaturen ist nach Sonnenuntergang todsicher mit Glatteis zu rechnen. Im Föhrenweg parkt er seinen Lada vor einem Stall eines unbewohnten Gehöftes. Er erkennt einen schwarzen Mercedes-Benz, der vor dem Haus fast die halbe Fahrbahn einnimmt. Der Schnee knirscht unter seinen Füßen, als er am Straßenrand sich langsam seiner Behausung nähert. Ein flüchtiger Blick in das Fahrzeuginnere zeigt einen Mann, von molliger Gestalt, der vielleicht Mitte Zwanzig sein könnte und einen dicken weißen geringelten Strickpullover trägt. Die Standheizung bollert leise vor sich hin. Das Kennzeichen trägt die Ortsbezeichnung "EU-". Sogleich wird ihm klar, dass es sich nur um einen Leihwagen einer Firma handeln kann, bei der er auch schon zwecks Umzug einen Kleinlaster gebucht hatte. Befriedigt stapft er nach innen, zieht sich aus, achtet aber darauf, dass er nicht den Untermieter in Pantoffeln darstellt. Dann erklimmt er die obere Etage und wird nach dem Klingeln sogleich in die Küche geführt. "Herr Baumeister, das ist mein Schwager, der sich auch für die Strickmaschinen interessiert, aber seine Frau kann heute nicht daran teilnehmen, weil sie Spätschicht hat. Er will gewissermaßen einmal hineinschnuppern in Ihr Angebot." Der Angesprochene ist ein hagerer Mann, dessen Alter schwer zu schätzen ist. In jedem Fall hat er schon mit Methusalem ?Ähnlichkeit. In einem Pepita-Jackett und einer schwarzen Hose steckt diese traurige Gestalt, die die letzten Jahre wahrscheinlich in einer Dorfkneipe zugebracht hatte. Das faltige Gesicht ist völlig verlebt und nach kurzem Aufschauen zu Günther Faerkers fängt der Herr Baumeister zu husten an, wobei man befürchten muss, dass sogleich einige Lungenbläschen auf den Küchentisch fallen oder zumindest die Kippen aus dem vollen Aschenbecher fortgeblasen werden. Günther Faerkers kennt diese Typen, die in den Berliner Eckkneipen den Charme gealterter Soleier an der Theke  versprühen. Kein Zweifel, der Herr Baumeister muss die letzten zehn Jahre dort zugebracht haben. Anscheinend wurde er in seinem Vortrag durch das Erscheinen des "Schwagers" unterbrochen, nach kurzer Pause fährt er fort. Die Stimme ist dunkel, rauchig aber er spricht ein reines Hochdeutsch, so dass seine landsmannschaftliche Herkunft schlecht herauszufinden ist. "Wir, die Auftraggeber, verpflichten uns zu Garantieleistungen, die Ihnen kein anderer Heimarbeitgeber anbietet. Die Aufstellung und Lieferung aller Maschinen und Geräte, die sie dafür benötigen, sind kostenfrei. Sie bezahlen keinen Pfennig dafür. Aber es wird noch besser. Manche Heimarbeitgeber bieten Schulungen an, die Sie teuer bezahlen müssen ohne auch nur eine müde Mark für Ihre Arbeit gesehen zu haben. Gibt's bei uns nicht. Sie werden geschult und in die Bedienung der Maschinen eingewiesen, alles gratis. Sie müssen auch nicht für die Materialien in die eigene Tasche greifen. Wir liefern ihnen alles, was sie zu Ihrer Arbeit brauchen. Sie müssen nur die Maschine bedienen und wenn es bei Ihnen nicht gleich so flott von der Hand geht, dann nehmen wir alles, was sie so fabriziert haben, auch wieder zurück. Es entstehen ihnen nullo Kosten. So was müssen Sie erst einmal woanders finden. Wenn Sie dann so richtig eingearbeitet sind, können Sie auch bei uns beantragen, dass wir Ihnen das Material für eine 40-Stunden Woche liefern. Dann sind Sie richtig ein Angestellter mit festem Job. Aber auch zugleich in Selbstständiger. Da müssen sie nicht wie ein Inhaber einer der vielen Imbissbuden, die hier überall entstanden sind, um Kunden bangen. Sie sind bei uns so sicher wie in Abrahams Schoß. Wir beliefern Sie kostenfrei und zahlen Ihnen dann für 40 Stunden Arbeit den vollen Stückpreis. natürlich müssen Sie für sich eine Krankenversicherung abschließen und sich um  Ihre Rente kümmern. Das muss aber jeder Selbstständige. Ich kenn' das ja von mir, was da für ein Batzen jeden Monat drauf geht. Aber unsere Produkte werden uns seit Jahren aus der Hand gerissen. Deshalb suchen wir ja auch noch so viele neue Heimarbeiter. Sie wollen bestimmt gern wissen, wie wir das machen. Das ist so. Nur wenige Eingeweihte wissen, dass Spanien in Strickmoden das führende Land ist. Da ist es nämlich nicht immer so heiß und Wolle isoliert auch im Sommer wie im Winter. Ich habe vor vielen Jahren, als ich dort von meiner alten Firma als Repräsentant nach Bilbao geschickt wurde, viele Beziehungen zu dortigen Modegeschäften geknüpft und kam so an die Hersteller ran. Darum haben wir jetzt immer die neuesten Kreationen und sind den Handelsketten mindestens eine Nasenlänge voraus. Man handelt uns als Geheimtipp. In Camburg habe ich mit einem Geschäftspartner eine Manufaktur gegründet. Dort werden jetzt über einhundert Maschinen aufgestellt. Sie sehen, das  Geschäft boomt."





Marina und Thorsten Bechtloff sind sehr beeindruckt. Günther Faerkers hingegen scheint etwas unkonzentriert, denn er liest gerade die einzelnen Vereinbarungen im "Arbeitsvertrag" durch. Unvermittelt fragt er den Herrn Baumeister:" Das hört sich ja wirklich klasse an. Jetzt habe ich doch noch eine Frage, denn meine Frau kann ja heute nicht dabei sein. Hier steht im Vertrag etwas von einer  Schutzgebühr über 5000.- DM, falls jemand nicht arbeitslos ?ist. Arbeitslose müssen nur 2500 .- DM bezahlen. Gilt das für jede Maschine?"

Herr Baumeister schaut zunächst etwas grimmig, denn diese Frage hatte er nicht erwartet. Er zündet sich wieder eine Zigarette an und dann antwortet er etwas entspannter:" Sehen Sie mal, so eine Schutzgebühr muss doch sein. Sie spielen doch bestimmt am Computer." Günther Faerkers nickt. "Da werden Sie doch bestimmt keine Spiele verwenden, die schwarz kopiert wurden oder man die Passwörter geknackt hat, denke ich. Unsere Strickmuster sind auf Disketten  gespeichert. Die sind passwortgeschützt und man muss auch die Maschinenbezeichnung eintragen. Wer nun böses im Schilde führt, klaut diese Daten und kopiert die Diskette. Schon kann er diese an die Mitbewerber verkaufen, oder auf eigene Rechnung uns Konkurrenz machen, wenn er eine entsprechende Maschine zu Hause hat. Dann verdienen wir am Ende weniger und Sie auch, weil eine starke Konkurrenz haargenau die gleichen Produkte auf dem Markt zu Ramsch-preisen anbietet. Das wollen wir auf keinen Fall. Und es ist ja auch in Ihrem Interesse. Weil sie auch die Maschinennummer eingeben müssen, gilt die Schutzgebühr für jede Maschine, wie bei dem Büroprogramm  Office für jeden einzelnen Computer."

Bevor der "Schwager" darauf antworten kann, kommt der Sohn von Marina und Thorsten in die Küche und fragt: "Störe ich?" Er ist fast sechzehn Jahre alt, ein sportlicher Junge mit kurzen hellblonden Haaren und hat meist ein Lächeln im Gesicht, wegen seiner Frohnatur ist er allgemein sehr beliebt. Thorsten Bechtloff wehrt ab: "Sascha, im Moment störst du uns gerade bei einer wichtigen Beratung." " Ich wollte auch nur fragen, wo du den Zündkerzenschlüssel für die Simme in der Garage hingelegt hast. Ich kann den nicht finden." Der "Schwager" reagiert blitzschnell. Siedend heiß fällt ihm ein, dass Saschas Eltern bestimmt vergaßen den Jungen in die "Schwagerrolle" einzuweihen. Wenn der jetzt ihn mit "Sie" anreden würde, dann käme auch das dem werten Herrn Baumeister zutiefst spanisch vor. Er antwortet umgehend:" Junge, lass die man sich weiter beraten. Ich habe einen Kerzenschlüssel in meinem Pannenset im Lada. Der passt auch auf die Simme. Wir gehen mal zum Auto, da kannst du ihn sofort kriegen."  Sascha nickt freudig und die Beiden verlassen sofort die Küche.  Am Auto angekommen fragt Sascha: "Was gibt's denn da so wichtiges zu bereden?" "Deine Mutter will einen selbstständigen Job annehmen, das nennt sich Heimarbeit. Da geht es jetzt um die Investitionen in Maschine und das ganze Drumherum. Ich sollte als Zeuge dabei sein und damit es nicht auffällt, haben deine Eltern mich als  Mutti's Schwager vorgestellt. Nicht auszudenken, wenn du in der Küche zu mir Herr Faerkers gesagt hättest, dann wäre das sofort aufgefallen." Sascha muss lachen:"Das ist ja wie im Krimi, ok, dann bist du jetzt mein Onkel und ich sage immer Günther zu dir. Auch wenn der komische olle Zausel wieder weg ist." Jetzt lacht Günther Faerkers auch: "Mit dem Krimi könntest du durchaus ins Schwarze getroffen haben. Das Ganze stinkt nämlich. Das kriege ich noch raus." "Hoffentlich haben meine Eltern dann keine Nachteile, wenn du recht behältst und die vielleicht betrogen werden. So was gab es schon vor drei Jahren. Da kamen zig Vertreter aus dem Westen und haben den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen. Auch mein Opa und Oma sind damals auf so einen reingefallen." "Tja, da können wir beide nur hoffen, dass das gut ausgeht. Ich bleibe am Ball. Als Zeitungsmann hat man so manche Möglichkeiten und Beziehungen."









Es vergehen einige Tage, bis zur Veröffentlichung des Berichtes über die Segnungen westdeutscher Unternehmensgründer in den "Thüringer ?Nachrichten". Margarete Thorenz hat den vielbeschäftigten Unternehmer anscheinend nicht getroffen, obwohl sie im Text seine jugendliches und straffes Gebaren für einen Mittfünfziger besonders hervorhebt. Dass er bei der Unterhaltung dankend auf den angebotenen Kaffee verzichtet habe und einen frisch gepressten Orangensaft vorzog, weil er sich durch ausgewogene Ernährung und gesunde Lebensweise für diese fast nicht zu bewältigende Herausforderung in den neuen Bundesländern den Aufschwung Ost mitzugestalten fit halten muss. Von einem Treff zwischen zwei sehr wichtigen Terminen in einer Autobahn-Raststätte ist die Rede, wo der Herr Baumeister die Vorzüge seines innovativen Unternehmenskonzept anpreist. Sein liebstes Kind wäre die Manufaktur in Camburg, wo er gesellschaftlich Benachteiligten endlich ihre Würde zurück gäbe, indem er den so gezeichneten Menschen einen zukunftssicheren Arbeitsplatz verschaffen würde. Auf die Frage der Redakteurin, ob so etwas nicht auch für den eigenen Landkreis möglich wäre, äußerte der Herr Baumann sich sehr zuversichtlich, da er gerade in dieser Phase auch in engen Verhandlungen mit der Wirtschaftsförderung stünde, doch leider die Presse die Bedeutung noch nicht erkannt hätte. Die Redakteurin versicherte ihm. das es bei den "Thüringer Nachrichten" immer offene Türen für solche Investoren gäbe. Im Gegensatz zu Anzeigenzeitungen, die gern Nachrichten skandalisieren würden, weil sie in Wahrheit ihre Anzeigenkunden bei Laune halten müssten. Die großen Zeitungen wie die "Thüringer Nachrichten" seien die einzige vierte Gewalt, die unparteilich und unabhängig berichten würde.  Zu dieser Lobhudelei hatte der Fotograf Spitz noch ein Bild von zwei jungen Mädchen, die um die Strickmaschine drapiert wie eine Dekoration aussahen, wobei eine kokett ein Wollknäuel wie Evas Apfel im Paradies hochhielt und die andere mit einer Hand an den Knöpfen der Maschine spielte. Günther Faerkers erkennt wegen der Frontalaufnahme sofort, dass es sich um eine Strickmaschine des Typs: Veritas Doppelbettstrickmaschine 360 des VEB Kombinat Textima Karl-Marx-Stadt handelt. Ein gleiches Exemplar besitzt seine Oma in Berlin-Rummelsburg. Schnell geht  er eine Treppe höher, wo Marina Bechtloff gerade in der Küche im Kochtopf rührt und hält ihr den Artikel unter die Nase mit der Bemerkung: "Na, bei dieser Strickmaschine muss sich der Herr Baumeister wohl seine Disketten sonst wo hineinschieben. In die Maschine passen sie nicht." Marina Bechtloff setzt sich erst einmal auf den Küchenstuhl und macht ein unglückliches Gesicht. "So eine Scheiße", entfährt es ihr. " Ich habe doch dem Thorsten gesagt, wir müssen uns das noch einmal genau überlegen. Denn, als du auf der Schutzgebühr herumgeritten hast, da kriegte ich mit einem Mal ein mulmiges Gefühl. Ich sagte noch zu Thorsten später: " Was ist denn, wenn der nur die 5000 DM einsteckt und wir ihn nie wieder sehen?" Da hat er nur gemeint: "Das kann sich der doch gar nicht leisten, wo er doch noch die Sache in Camburg laufen hat. Wir haben seine Adresse, wenn der krumme Dinger macht, dann ist doch die Polizei ruckzuck bei ihm. Außerdem kann ich doch das Geschäft innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Wenn wir bis dahin nichts von ihm gehört haben, dann machen wir das so und wir haben unser Geld wieder." Günther Faerkers schüttelt den Kopf. "Thorsten hat nicht bedacht, dass dieser Vertrag kein Haustürgeschäft ist, sondern ein echter Vertrag unter Kaufleuten. Da müsst ihr von euch aus klagen, aber zuvor erst abmahnen mit Fristsetzung. Das zieht sich bis zu einem Jahr hin." "Was machen wir nun?", fragt seine Vermieterin. Günther Faerkers ärgert sich, dass er das Gespräch nicht bis zum Ende verfolgt hat. Wahrscheinlich hätten dann die Bechtloffs den Vertrag nicht unterzeichnet, den jetzt die Marina ihm vorlegt, worin ihre Bankverbindung angegeben ist und die beiden Unterschriften der Vertragspartner stehen. "Ich ?gehe der Sache nach und dann gibt es einen Riesenaufmacher im 'Hainleite-Boten'. Vielleicht melden sich noch mehr Leute, die so über den Tisch gezogen worden. Ich denke, das wird ganz sicher der Fall sein. Vereint sind wir stärker und die dusseligen Kollegen von den "Thüringer Nachrichten" werden dann mal wieder als Mietmäuler da stehen." "Als was?" fragt wiederum Marina Bechtloff. "Das 'Mietmaul' ist ein Begriff aus der Zeitungsbranche. Damit sind Journalisten gemeint, die bestimmte Meldungen und Berichte sachlich und objektiv aussehen lassen, aber in Wirklichkeit Reklame für den Auftraggeber machen. Das sind dann meist wichtige Anzeigenkunden." So gehen sie an diesem Mittag unverrichteter Dinge auseinander.


Günther Faerkers klemmt sich hinter seinen Computer und wartete geduldig bis das Modem nach einiger Zeit die Verbindung zum Internet hergestellt hat und auf dem Bildschirm die Maske der Suchmaschine erscheint. Er gibt die Anschrift der Zentrale der Mona Lisa Art GmbH in dem kleinen Städtchen Wolfhagen bei Kassel ein. Unter dem Weidenweg 5 ist ein  "Reinhard Koppmann, Bezirksschornsteinfeger" eingetragen. Doch die Telefonnummer ist ein andere, die nur aus fünf Ziffern besteht. Wegen der im  Arbeitsvertrag mit den Ziffern 99... beginnenden Telefonnummer schließt Günther Faerkers, dass es sich wohl um einen ganz neuen ISDN-Anschluss handeln muss, der noch nicht öffentlich verzeichnet ist. Stattdessen sucht er aus der CD-Sammlung "Satellitenbilder Deutschland" die passende CD heraus. Langsam navigiert er über den Ort Wolfhagen. Der Weidenweg gehört zu einer Eigenheimsiedlung, deren Straßen auf Baumnamen lauten. Die Nr. 5 sieht aus der Vogelperspektive nicht nach einem Sitz für ein Unternehmen aus, welches mit Strickmoden handelt, geschweige denn einen Maschinenpark auf Lager halten kann. Einen Testanruf schenkt er sich, da bei einem ISDN-Anschluss eventuell die anrufende Nummer registriert werden kann. Er kann es ja vielleicht später noch einmal von einer Telefonzelle aus versuchen. Dringend ist das nicht, denn der werte Herr ist sicherlich irgendwo unterwegs um Kunden einzufangen, denkt er.



Vielmehr widmet er sich seinem heutigen Auftrag, der ihn abends nach Bad Falkenstein führen wird. Dort findet an diesem Abend eine Bürgerversammlung statt. Im Einladungsschreiben steht als wichtiger Tagesordnungspunkt: "Vortrag des Verkaufsdirektors der Vitacon AG aus Düsseldorf Herr Dr. Valentin zu dem Sport- Konferenz- und Wellness Hotel "Residence Burg Falkenstein". Danach folgt der Punkt "Aussprache über die Verkehrsentwicklung in Bad Falkenstein" und als letzter Punkt "Vorstellung der Planung und Durchführung zum Umbau des Kindergartens am Kurpark". Das FDGB-Ferienheim war durch die Treuhand an diese dubiose AG abgewickelt worden. Bisherige Recherchen bei einer befreundeten Stadtzeitung in Düsseldorf erbrachten ein recht eigenartiges Gebaren dieser Aktiengesellschaft. Sie hatte dort privatisierte Sozialwohnungen von der Stadt aufgekauft, um sie anschließend umzubauen zu Studentenappartements. Die meisten Mieter waren wegen des einjährigen Baulärms freiwillig ausgezogen. Es hatte dort nicht nur auf der Baustelle viel Staub aufgewirbelt,  wurde doch den ehemaligen Mietern bei freiwilliger Kündigung eine überteuerte Ersatzwohnung angeboten, während man hartnäckige Bewohner, besonders alte Leute, so sehr schikanierte, bis die Alten es vorzogen mit einer mageren Prämie versehen in ein Altersheim zu ziehen. Dort durften sie dann zuerst die Prämie zum Bestreiten der Unterbringungskosten nutzen, bis am Ende sich das Sozialamt zu einem Pflegekostenzuschuss bequemte.  Als Günther Faerkers den Ortseingang von Bad Falkenstein passiert, grüßt schon von weitem die ?jetzt im Dunkel gelegene Burg, welche teilweise angestrahlt wird. Auf der Straße zur Burg liegt auf halber Anhöhe das ehemalige Ferienheim. Auf den Parkplatz einbiegend erkennt er zwei schwarze BMW der Fünfer-Klasse. "Klischee bestätigt", sagt er zu sich.

In dem ehemaligen "großen Speisesaal" sind die Tische zu einem "U" zusammengestellt. Am Kopf dieser Tafel ist ein Rednerpult aufgebaut und seitlich steht ein moderner Beamer, der ein Modell des geplanten Objekts an eine Leinwand wirft. Ein junger Mann, offenbar der Assistent des Vortragenden erfüllt alle Erwartungen von Günther Faerkers, die er mit dem Immobiliengewerbe verknüpft. Neben den obligatorischen spitzen Schuhen, die eine stattliche Fußlänge vortäuschen, ist schwarz angesagt bis hin zum T-shirt unter dem Jackett. Gekleidet wie ein bekannter Comedy-Darsteller aus dem Primitivfernsehen umgeben von einer Mischung aus wichtigtuerischer Beflissenheit und zur Schau getragener Coolness. Es sind immer die  gleichen Typen, die irgendwo eine Handelsschule besuchten, eine Lehre als Kaufmann oder Sparkassenjüngling absolvierten, von vermeintlichem Karrierewahn befallen, dass sie es schaffen werden, weil sie es wirklich wollen, fallen sie  durch ihre Angeberei und vermeintliches Kennertum oft unangenehm auf. In Berlin sind sie in jeder Szene-Kneipe anzutreffen. Ihre wichtigen Projekte, die sie auf ihren Laptops im Café bearbeiten entpuppen sich oft als krasse Luftnummern. An diesem Abend sollte anscheinend ein solche veranstaltet werden. Der Verkaufsdirektor mit graumeliertem welligen Haar und dem Charme eines Frauenarztes auf dem Tennisplatz, der es mit gewissen Gesetzen nicht so genau nimmt, ordnet noch einmal seine Papiere, tippt auf seinem Handy und lässt sich anschließend von seinem Handlanger Bericht erstatten, ob alles vorbereitet wäre. Der Saal ist ziemlich gut besetzt. Die Zuhörer unterhalten sich sehr gedämpft, an einer Ecke sitzt ein junger bärtiger Mann mit Strickpullover, der anscheinend Flugblätter an die Anwesenden verteilt nach dem Motte: "Bitte nehmen und weitergeben". Um die Tischgruppe wieselt ein älterer Herr im blauen Anzug mit orangefarbenem Binder und begrüßt persönlich einzelne Gäste. Dann schreitet er zu dem Verkaufsdirektor begrüßt ihn noch einmal auffallend herzlich und klopft zugleich an das Mikrofon. Dann löst er es vom Stativ  hält es vor seinem Mund und sogleich ploppt es und ein Räuspern mit deutlich gesprochenem "Eins,zwei,drei" lassen die Unterhaltungen verstummen. Günther Faerkers hat sich in der Wartezeit bis zu diesem Moment den Spaß erlaubt, bereits die Begrüßungsworte zu Papier zu bringen. Es erheitert ihn stets, weil diese Worthülsen so gut wie bei jeder Veranstaltung erklingen. Er wird nicht enttäuscht. Der Herr mit dem orangefarbenen Binder stellt sich als der Ortsbürgermeister vor und verkündet, dass seine Partei stets auf der Seite des wirtschaftlichen Fortschritts und der Vollendung der Wiedervereinigung steht. Aus diesem Grunde sei er auch so erfreut, dass ein westdeutsches bedeutendes Wohnungs- und Immobilienunternehmen wie die 'Vitacon AG' aus Düsseldorf sich entschieden habe, das marode DDR-Ferienheim komplett zu sanieren, es zu erweitern zu einem wahrhaftigen Luxushotel umzugestalten, wo die wichtigsten Führungskräfte sich bei Sport und Wellness erholen können und zugleich in Konferenzsälen die neueste Kommunikationstechnik für ihre schwere und verantwortungsvolle Arbeit  zur Verfügung stünde. "Bad Falkenstein findet somit den Anschluss an die globale Wirtschaftsentwicklung, Verkehrswege werden westeuropäischen Standards angepasst, wobei es auch heißt, dass man von alten Gewohnheiten und Standorten Abschied nehmen muss. Das beträfe zwar nur den Kindergarten, welcher komplett neu gestaltet wird nach ?dem Motto: weniger ist mehr, aber im Gegenzug die "Vitacon AG" dafür sorgen würde, dass die alte Saline wieder zu neuem Glanz käme und ein Publikumsmagnet würde. Wir werden uns auf steigende Gästezahlen einstellen müssen, die entsprechende Angebote in den Geschäften erwarten. Es ist der Zug der neuen Zeit, welcher nur einmal am Bahnhof in Bad Falkenstein hält und in den man jetzt einsteigen müsse." Der Beifall ist verhalten bis spärlich. Dafür setzt er das Mikrofon wieder auf das Stativ und richtet es devot auf den Verkaufsdirektor aus.

Günther Faerkers hat seinem Text nur noch die letzten Sätze des Bürgermeisters stichwortartig angeführt. Der Rest heißt abwarten. In der Hoffnung, dass der Spuk bald vorüber ist. Denn der Strickpulli von dem Flugblattverteiler erinnert ihn an den  viel wichtigeren Grund seines Besuches. Die Gründe für die Proteste der Einwohner von Bad Falkenstein kennt er bereits sehr genau. Wer will schon in einer ruhigen Gegend mit einer idyllischen Burgruine ein breite Zufahrtsstraße bekommen, wenn dazu die Bäume rechts und links der Rathausallee gefällt werden müssen und der Garten des  Kinder- und Schulhortes bis auf einen winzigen Rest der bequemen und zügigen Anreise der zukünftigen Gäste weichen muss. Langsam löst sich die Versammlung auf. Der Ortsbürgermeister ist noch in ein Gespräch mit dem Verkaufsdirektor der Vitacon vertieft, der Assistent baut den Beamer ab, die Besucher stehen in Grüppchen zusammen, so dass Günther Faerkers nun unauffällig den jungen Mann im Strickpulli ansprechen kann. "Cooler Strickpulli mit fröhlichen Farben, den Sie tragen. Er steht Ihnen, welches Mode-Label ist das denn?" Der Angesprochene dreht sich völlig zu ihm herum und lacht: "Danke, das ist ein ganz besonders exklusives Strickmoden-Label, es nennt sich "Mutti" und ist kaum im Handel zu erwerben. Aber, wenn es Sie so brennend interessiert, die ältere Frau dort mit den leicht angegrauten Locken, das ist meine Mutter. Fragen Sie sie doch einfach. Ich heiße übrigens Maik." Günther Faerkers bedankt sich sehr freundlich bei Maik und wendet sich der einen recht großen Gruppe zu, die angeregt diskutiert. In einer kurzen Gesprächspause richtet er das Wort an die Betreffende. "Ihr Sohn Maik hat mir empfohlen in Fragen zu Strickwaren sich an Sie zu wenden." Aus der Gruppe ruft ein Mann spontan: " Sie sind doch sicher von der Presse. Aber doch nicht von den 'Thüringer Nachrichten', oder?" Günther Faerkers ergreift den zugeworfenen Ball und stellt sich der Gruppe vor. Die Mutter von Maik äußert sich erfreut: "Da soll ich Ihnen wohl Pulswärmer stricken, wenn Sie draußen auf ihrem Block eine Reportage verfassen?" Eine andere Frau unterbricht. "Draußen ist ein gutes Stichwort, hier wird es ungastlich. Lasst uns in den "schwarzen Adler" gehen und noch etwas heißes zu uns nehmen, da können wir auch die Pulswärmer besprechen. "Ich bin mehr für einen Magenwärmer", trompetet der Mann, welcher den Journalisten enttarnte. So bricht die Gruppe zusammen mit Maik auf, verlässt das Gebäude und Das Geräusch des splitternden Eises in Pfützen weist auf weiter gefallene Temperaturen hin. Doch Maik erzählt dem neben ihm gehenden Journalisten von seinem Studium in Jena, wo er sich im Fach Biochemie eingeschrieben hat. Nach einer kurzen Zeit kommen sie im "schwarzen Adler" an. Es ist eine typischer Landgasthof, der auch Fremdenzimmer vermietet. Die Inneneinrichtung erinnert sehr stark an die typische DDR-Gastronomie mit den Sprelacart-Tischplatten und den dazu obligatorischen Stühlen. Man schiebt kurzerhand die Tische zusammen und bildet so eine gemütliche Runde, die Wärme eines großen Kachelofens führt zu einer gelösten Stimmung auch bei Günther Faerkers, in dessen Tee sich ein winziger Schuss Rum verirrt hat. Er sitzt neben der Mutter von Maik, die in ?Wirklichkeit Ursula Kolbrink heißt, rechts neben ihr der Sohn. Frau Kolbrink lobt die Artikel von Günther Faerkers, die sie doch immer wieder mit Vergnügen lesen würde. Ihr gefällt vor allem der manchmal aufblitzende Berliner Humor und das Anfassen heißer Eisen, was man sonst von der Lokalpresse nicht gewohnt sei. Günther Faerkers setzt eine freundlich unverbindliche Miene auf. Er kennt die Lobeshymnen gegenüber Pressevertretern, aber auch die Zornesausbrüche, wenn einem Leser ein Artikel nicht gefällt, besonders im Umkreis von Betroffenen kann dies bis zu juristischen Auseinandersetzungen führen. Nachdem Maiks Mutter ihr Lob ausgeschenkt hat, antwortet er: "Danke schön, dass Sie meine Arbeit schätzen, doch ich wollte Sie eigentlich nur fragen, ob Sie das Stricken als Hobby betreiben oder es doch professioneller mit einer Strickmaschine für einen größeren Kreis ausführen." Frau Kolbrink muss lachen. "Jetzt weiß ich, wohin der Hase läuft. Sie haben es auf Heimarbeit abgesehen. Darüber haben Sie ja letztens im "Hainleiteboten" geschrieben. Heute Mittag las ich auch den Artikel der Konkurrenz. Sie werden lachen, diesen glorreichen Unternehmer habe ich im Gegensatz zu ihrer Kollegin sogar höchstpersönlich kennen gelernt. Der sieht in Wahrheit ganz anders aus, als ihn die Dame von den Thüringer Nachrichten beschrieben hat." Maik ist erstaunt:"In echt? Die hat das Interview erfunden?" Günther Faerkers greift ein: "Ich will da nichts unterstellen. Die Redaktion in Possenhausen arbeitet schon meist völlig korrekt. Wahrscheinlich war es ein Telefoninterview und sie hat sich anhand der Stimme auf der Gegenseite den Mann so vorgestellt. Es passt ja auch besser in das politische Image von Westunternehmern, als ein so verlebtes und schrumpeliges  Würstchen aus dem Rauchfang  im Pepitajackett." "Ach nee, Herr Faerkers, bei uns hatte er auch das gleiche Jackett an und so gequalmt, dass meine Freundin zwei Tage lang den Gestank nicht aus der Wohnstube kriegte. Das war nämlich so. Meine Freundin heißt Karin Wölke und wohnt in Riehe, ganz am Ende unseres Landkreises und die hat mich angerufen und eingeladen zu einer Strickmodeparty mit anderen Frauen. Wir kennen  uns ja schon seit Jahrzehnten, weil ich auch aus Riehe komme. Gut, dachte ich mir, mein Männe hat an dem Tag immer seine Skat runde im ehemaligen Haus der Kreisleitung, da passte das mir sehr gut. Das Auto hatte ich auch, denn beim Skat wird ja doch immer etwas mehr getrunken, da fuhr ich nach Riehe und wir waren doch so zehn Frauen, als dieser Herr Baumeister auftauchte. Der hat seine Strickmaschinen in höchsten Tönen gelobt und davon gesprochen, wie wir  uns damit eine neue völlig sichere Existenz aufbauen könnten. Jeder von uns kriegte so einen Vertrag, der sich sehr gut las. Der wusste aber nicht, dass ich früher bei uns in der PGH als Revisorin gearbeitet hatte. Deshalb dachte ich mir, niemand hat etwas zu verschenken und er zahlt solche Löhne ohne auf ausreichende Qualität zu achten und ohne Zeitnachweise? Dann stieß ich auf die Schutzgebühr in Höhe von 5000 D-Mark. Auch die Verminderung der Schutzgebühr auf die Hälfte für Arbeitslose fand ich doch gepfeffert. Außerdem sollte diese Gebühr wie eine Kaution noch verzinst werden. Da fragte ich mich doch ernsthaft, für welchen Preis der Typ die Strickwaren denn verscherbeln will? Angesicht der Billigläden wie Kak & Co müsste es sich um eine ganz besondere Kundschaft drehen, denen das Geld locker in der Tasche sitzt. Doch, als ich anfing da nachzuhaken, wurde der Mann recht unwirsch und meinte, das wären ja alles Dinge, die bei Vertragsunterzeichnung überhaupt erst wichtig wären. Er wolle uns zunächst einmal einen Überblick über unsere Zukunftschancen eröffnen. So sahen es die anderen Frauen auch und waren bemüht meinen Einwand fast zu entschuldigen. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei, er bat uns sich in eine Liste einzutragen, damit er unsere Kontaktdaten habe, falls wir noch Fragen ?hätten und er uns weitere Informationen dann zuschicken könne. Der Vertrag würde dann bei den Interessenten zu Hause geschlossen werden, ganz in Ruhe und ohne Druck. Als ich ihn danach mit meiner Freundin zur Tür begleitete, sah ich noch wie er in einen Mercedes einstieg, wo ein junger Mann offenbar der Chauffeur war. Meine Freundin schalt mich als viel zu misstrauisch und als wir wieder im Wohnzimmer waren, ging die Diskussion hoch her, wie man am besten so eine Strickwarengemeinschaft aufziehen könnte. Ich hatte aber genug und verabschiedete mich nach einer halben Stunde. Sie können gern die Anschrift von Karin Wölke haben. Wir haben dann drei Tage später noch einmal zusammen telefoniert, wobei ich deutlich absagte,obwohl sie mich überzeugen wollte, dass sogar der Rechtsanwalt in Riehe den Vertrag für gut befunden hatte. Danach haben wir uns nicht mehr gesprochen und darum weiß ich auch nicht, wie die Angelegenheit ausgegangen ist. Für mich kam das gar nicht in Frage." "Das hätte ich nun nicht erwartet", gesteht Günther Faerkers, " so eine ausführliche Schilderung eröffnet mir ja da ganz andere Überlegungen. Übrigens, meine Vermieter haben mich zu dem Besuch des Herrn Baumeister eingeladen, als 'Schwager' der Vermieterin. Ich kann das nur bestätigen, was Sie hier eben erzählten." "Da war noch etwas", fuhr Frau Kolbrink fort,"als ich nämlich ein paar technische Fragen zu der Art und Funktionsweise der Strickmaschine stellte, da kam von ihm nur heiße Luft. Ahnung vom Stricken hatte der jedenfalls nicht." Da schaltet sich Maik ein. "Wer sagt denn, dass man zum Betrügen spezielle Kenntnisse haben muss. Wichtig ist doch nur die Leute so einzulullen, dass sie die Kohle rausrücken. Wenn allein deine Freundin und ihre Mitstrickerinnen die vermeintliche Schutzgebühr abdrücken, dann hat der an einem Abend 50000 Ocken verdient. Ist doch ein klasse Job, da müssen andere zwei Jahre für stricken." Günther Faerkers stimmt zu: "Das sieht tatsächlich so aus, aber warten wir es ab. In der nächsten Woche wissen wir mehr."






Wieder in Kerba angekommen erwartet ihn ein relativ ruhiges Wochenende. Über das wichtige Fußballspiel berichtet ein Hobbyreporter, der schon seit Jahren Berichte zu den Spielen im Landkreis verfasst und auch selbst fotografiert. Es steht nur noch eine Ausstellungseröffnung am Sonntag auf dem Programm. Sie soll im Schlossmuseum zwei Monate lang Einblick in die Geschichte des frühen Mittelalters um die Region Windleite-Hainleite-Thüringer Hochebene geben. Das ist in einer guten Stunde abgehakt und es bleibt noch genügend zur Erholung. Seine Vermieter sehen dagegen eher etwas angegriffen aus. Thorsten Bechtloff hatte zwar erklärt, dass er umgehend den Betrag zurückfordern will, weil er ja ein Widerspruchsrecht besäße. Doch nach der Belehrung durch seinen Mieter hat er  nur die einzige Chance den Scheck bei der Sparkasse zu sperren zu lassen. Dummerweise muss er dazu bis Montag warten und hofft, dass seine Frau dies auch erledigen kann, während er selbst in Westdeutschland mit seinem Tagewerk beschäftigt ist.

Der Montag verspricht sehr ruhig zu verlaufen. In der "Redaktionssitzung", haben sich die beiden Journalisten, Frau Bartels und der Anzeigenleiter zusammengefunden. Nach kurzem Bericht über den Stand der Recherche im Vorgang "Mona Lisa" beschließt  Viktor Hartenstein, dass daraus eine kleine Artikelserie in mehreren Folgen entstehen soll: "Wir dürfen bei dieser ausführlichen Story unseren Lesern nicht so eine Bleiwüste zumuten. Sehen Sie doch mal zu, dass sie einen kleinen Höhepunkt am Ende des ersten Teils herausarbeiten. Dann kriegen die Leser Lust auf die weitere Folge. Dann ?können wir am Freitag den ersten Teil erscheinen lassen." Unvermittelt unterbricht Bettina Bartels: "Herr Hartenstein, ich halte das für überstürzt. Das sieht doch dann so aus, als wollten wir eine Retourkutsche zu den "Thüringer Nachrichten" platzieren. Dazu müssen wir doch mehr in der Hand haben, als die zwei Zeugenberichte. Wir müssten  so etwas finden wie einen Aufwärmer für die Freitagsausgabe und dann haben wir genug Zeit in den darauf folgenden Wochen je eine Folge abzudrucken. Werner...", sie wendet sich an den Anzeigenleiter, " hast du nicht zufällig auch eine Anfrage zu einer Werbeanzeige von Herrn Mona Lisa erhalten?" Werner Kampe, der bisher geschwiegen hatte, ziert sich etwas, ehe er darauf antwortet: "Ja, das ist so, vor drei Wochen kriegte ich einen Anruf von diesem Herrn Baumeister. Er wollte eine zweispaltige Anzeige in schwarz-weiß aufgeben und erkundigte sich nach dem Verbreitungsgebiet. Ich habe ihm geantwortet, dass wir dazu erst eine Vorlage brauchen um das Angebot zu kalkulieren, wenn wir nicht selbst den Anzeigentext erstellen." Er schickte mir nach ein paar Stunden ein Fax mit dem Anzeigenentwurf. Ziemlich dürftig und wenig ansprechend das Ganze. Daraufhin schrieb ich in dem Antwortfax, dass noch Optimierungskosten zu den normalen Kosten hinzu kämen und er mit einer höheren Summe rechnen müsste, die aber bei Auftragserteilung in bar fällig fällig wäre. Daher empfahl ich ihm, dass wir einen Termin bei mir im Büro vereinbaren sollten. Am gleichen Tag, noch kurz vor Feierabend, klingelte das Telefon und der Herr Baumeister war richtig angesäuert und meinte, ob wir als Hinterwäldler nicht die europaweit agierende Mona Lisa Art GmbH kennen würden. Anders könnte er sich nicht erklären, dass wir so misstrauisch und mit einer unverschämten Krämerseele ausgestattet auf Vorauskasse bestehen würden. Nun war ich etwas eingeschnappt und meinte, Geschäftskunden, die viel Wind machen würden, um am Ende dann sich zum vereinbarten Zahlungstermin in Luft auflösten mit der Firmenanschrift 'unbekannt verzogen' - davon hätten wir schon zur Genüge und wollten keine solchen mehr dazu  gewinnen. Da hat er den Hörer auf die Gabel geknallt und das Gespräch war unterbrochen. Er schien aber nicht von einem Büro aus anzurufen, sondern eher aus einem Gasthof. Denn ich hörte im Hintergrund  eine Frauenstimme, die zwei Jägerschnitzel, zwei Köpi und zwei Klare orderte. Ich wusste genug und für mich war der Vorgang dann bereits abgehakt." Günther Faerkers lacht: "Ok Werner, wenn du diese verkommene Gestalt von Baumeister selbst gesehen hättest, dann wärest du nicht erstaunt über ein solches Geschäftsgespräch zwischen Sauerkraut und Pils." Entspanntes Lachen erfüllt den Raum. Viktor Hartenstein überlegt einige Minuten und meint: "Frau Bartels, der Vorschlag ist sehr gut. Der Herr Faerkers kann in Ruhe recherchieren in Riehe und vielleicht noch andere Informationen gewinnen. Das teilen wir auf zwei Folgen auf. Ihren 'Aufwärmer', wie sie es nennen, wird ein Interview von Günther Faerkers mit unserem Rechtsverdreher Reinhard Wegener. Mir schwebt so als Thema vor: Worin unterscheiden sich Haustürgeschäfte und ordentliche Verträge, was ist für Existenzgründer besonders zu beachten? Der Reinhard Wegener hat immer so schöne praktische Beispiele zur Hand, wo ja auch Heimarbeit zur Illustration der juristischen Probleme angesprochen werden könnte. Das Interview ist dazu super geeignet. Dann haben wir auch einen roten Faden für unsere Berichtserie." Es erfolgt allgemeines Kopfnicken.

Günther setzt sich ein Ziel. Bis zum Redaktionsschluss will er noch ein Gespräch mit dieser Karin Wölke in Riehe führen und hofft dabei noch auf weitere interessante Einblicke in die Geschäfte des Herrn Baumeister.  Gegen Mittag ist er wieder in Kerba und sucht die Telefonnummer der Frau Wölke ?heraus. Als dort jemand nach einigem Läuten an das Telefon geht, ist das Ergebnis ernüchternd. Frau Wölke ist sehr abweisend, sie begründet ihr Verhalten mit dem Artikel aus den "Thüringer Nachrichten", der nicht ihrem Erlebten entspräche und möchte nicht, dass der Name ihrer Familie in diesem Zusammenhang in der Zeitung zu lesen sei. "Frau Wölke, ich kann das gut verstehen, aber Ihre Erfahrungen sind wertvoll und Sie sind keineswegs die Einzige, die das so erlebt hat. Es besteht der dringende Verdacht, dass noch viel mehr Menschen einem Betrug zum Opfer gefallen sind. Sie lesen doch sicher den 'Hainleite-Boten', wo ich vor einigen Wochen einen Artikel über Heimarbeit veröffentlicht habe. Das ist jetzt mit einem Mal brandaktuell geworden. Wir könnten mit Ihrer Hilfe viele andere Familien davor bewahren, dass sie sich verschulden. Übrigens hat es unsere Redaktion abgelehnt eine Anzeige des Herrn Baumeister zu drucken. Das waren nämlich die 'Thüringer Nachrichten'.  Außerdem werden wir einen Teufel tun unsere Informanten öffentlich bloß zu stellen. Schließlich sind wir eine Zeitung für das Territorium, wo wir auch leben." Frau Wölke sieht das ein. "Also gut, es geht am Samstag bei uns in Riehe, da ist auch mein Mann zugegen. Wenn wir uns gut verstehen, dann werden wir Sie unterstützen. Aber am Telefon möchte ich nichts darüber sagen." Günther Faerkers ist hocherfreut, die Uhrzeit wird abgesprochen und befriedigt legt er auf. Wenig später meldet sich der Rechtsanwalt. Am Dienstag morgen hat der Rechtsanwalt eine Stunde frei und ist auch mit einem Foto einverstanden. So wird dann in der abschließenden Redaktionssitzung über das weitere Vorgehen beraten. Viktor Hartenstein ist von dem Interview sehr angetan. Alle wichtigen Punkte kommen zur Sprache, warum eine Widerspruchsfrist bei Verträgen nicht besteht und dass auch ein Vertrag, der zu Hause mit einem Versicherungsvertreter "unter Vorbehalt" geschlossen wurde, nicht darunter fällt. Im Fall von Heimarbeit wird darauf hingewiesen, dass es sich um Verträge handelt, die unter gewissen Umständen sogar als Verträge unter "Vollkaufleuten" juristisch behandelt werden, wo das Handelsgesetzbuch zur Anwendung kommt. Es ist eine Reihe von Tipps, die merkwürdigerweise immer wieder auf die Arbeitsweise der Mona Lisa Art GmbH zutreffen.

Am Freitagabend, als Thorsten Bechtloff gerade das Haus betritt, wird er von seiner Frau empfangen mit der unerfreulichen Mitteilung, dass am heutigen Tag von der Sparkasse der Hinweis kam, dass der Scheck auf dem Konto eines gewissen Eugen Aschmann in Korbach gut geschrieben wurde, doch nach Auskunft der dortigen Bank einen Tag später abgehoben und der Kontostand des Herrn Aschmann nur noch eine symbolische D-Mark aufweist. "Arsch-Mann, sollte man ihn nennen", schimpft Thorsten. Günther beschwichtigt: " Davon kommt der Geldbetrag auch nicht zurück. Mich würde viel mehr interessieren, wer diese werte Herr Popomann eigentlich ist. Doch das herauszufinden ist Sache des Staatsanwaltes. Übrigens habe ich gestern eine Antwort vom Amtsgericht Gera erhalten. Die Mona Lisa Art GmbH ist gar nicht dort im Handelsregister unter der Anschrift , wie sie im Vertrag steht, eingetragen. Stattdessen ist in diesem Handelsregistereintrag unter der Adresse eine Bildungsgesellschaft ansässig. Den Geschäftsführer werde ich jetzt ausfindig machen und ihn zu diesen Vorgängen befragen. Der wird bestimmt gar nicht erfreut sein. Doch vielleicht ist es ihm lieber einem Journalisten Auskunft zu geben, als zur Polizeidienststelle geladen zu werden. Also Leute, kommt mal etwas runter, ich kann verstehen, dass ihr euch ärgert um den Verlust der Tausender, morgen bin ich in Riehe bei einer Familie, die offenbar auch geschädigt wurde. Wenn wir alle Opfer zusammenbringen können, dann steigt auch unsere Macht." "Hast recht Günther", beruhigt sich Thorsten, "lass uns ?gemeinsam ein Bier trinken, du doch auch Marina oder?" "Vergesst mich nicht", tönt es aus dem Hintergrund. Sascha ist hinzugekommen. "Dann ist ja der Kasten, den ich mitgebracht ja sofort wieder leer", scherzt Thorsten, "Ok, ich muss ihn eh' in den Keller tragen. Im Auto platzen mir die Flaschen womöglich." Mit diesen Worten verschwindet er und Günther erzählt Mutter und Sohn von seinen letzten Ergebnissen in diesem Fall.

Die Sorge um die Bierflaschen war unbegründet, denn in der Nacht zum Samstag schlägt das Wetter um, ein warmer Wind weht aus Richtung Westen, es nieselt, von den Bäumen tropft es und hinterlässt im grauweißen Schnee Löcher, als habe ein Tiefflieger mit dem Bord-MG geschossen. Die Straße verwandelt sich in einen rötlich braunen Matsch. Es ist die Farbe der Böden in diesem Thüringer Landstrich, die viel von einem eisenhaltigen Tonmineral mit dem bezeichnenden Namen "Thuringit" durchsetzt sind. Doch für solche geomorphologischen Betrachtungen hat Günther Faerkers keine Zeit. Er hasst diesen Matsch, denn sein Lada hat Hinterradantrieb und es ist nicht das erste Mal, dass der Wagen auf diesem Kupferschlackepflaster aus dem Mansfeldischen ins Schleudern kommt. In Hallstedt wäre er beinahe vor einem Monat mit dem Linienbus zusammengestoßen, weil die Straße im Ort im rechten Winkel abknickt. Doch wohlbehalten kommt er in Riehe an. Das Städtchen liegt im Tal. Gen Nordwesten erhebt sich eine Hügelkette die "Rieher Berge", welche bewaldet sind. In Riehe selbst ist ein klassizistisches Herrenhaus mit Gartenanlage aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die adligen Besitzer zogen es vor so schnell als möglich mit Hilfe der amerikanischen Besatzungstruppen in den sicheren Westen zu flüchten. So wurde dann nach Abzug der sowjetischen Kampftruppen in dem Gemäuer das Kulturhaus der Stadt eingerichtet und beherbergte zusätzlich den Jugendclub der FDJ. Das hatte ihm Viktor Hartenstein  erzählt, als er mit der Recherche zu den Streitigkeiten für einen neuen Jugendtreff in Riehe begann. Das Herrenhaus war zurückgegeben worden, und nun suchte man nach einer Alternative. Doch die Familie Wölke wohnte in einem unscheinbaren Siedlungshaus aus den Zwanziger Jahren. Es hieß, man wolle sich bei Kaffee und Kuchen mit ihm unterhalten. Pünktlich um drei drückt er auf den Klingelknopf und ein Mehrklanggong verbunden mit lautem Bellen kündigt seine Ankunft an. Wenige Minuten später sitzt er in der rustikal ausgestatteten Wohnstube, die dennoch ziemlich geräumig ist und durchaus zu einem Treff mit mehreren Personen einlädt. Er wird erst einmal ausgefragt, wie er in diese Gegend gekommen ist und muss ausgiebig über Berlin erzählen. Herr Wölke freut sich einen echten "Eulenspiegler" als Gast zu haben. Zu DDR-Zeiten war dieses Satireblatt seine liebste Lektüre. So langsam kreist das Thema um die Strickmaschinen, er muss berichten, wie er von der Angelegenheit erfuhr und was ihn dazu getrieben hat, so ein interessantes Thema, was sonst kaum in Zeitungen zu lesen ist, zu bearbeiten. Freimütig bekennt er, dass er durch seine Vermieter sich persönlich betroffen sieht und von seinem Zusammentreffen mit der Freundin von Karin Wölke.  Sie taut während des Gespräches immer mehr auf und ergreift das Wort. Dazu steht sie auf geht zur Wohnwand und holt eine altes Fotoalbum heraus. Zu den Bildern, die sie ihm zeigt erklärt sie:

"Sehen Sie, die Ursula und ich, wir kennen uns noch aus der Zeit der PGH Holz in Riehe. Sie war zwar schon verlobt, aber ihr Mann hatte sich bei der Armee verpflichtet und so verbrachten wir etliche Jahre gemeinsam in der Genossenschaft. Ich weiß nicht, ob sie die Geschichte derer von Briestedt kennen?" Günther Faerkers schüttelt den Kopf. "Der olle Theodor Baron von ?Briestedt war nämlich nicht nur bei der Reiter-SS, sondern auch mit einem späteren CDU-Politiker, wie hieß der noch...? Unterländer oder so ähnlich in einer besonderen Einsatzgruppe. Die haben da mit Ukrainern zusammen so Kriegsverbrechen und einige Morde an Wehrlosen begangen. Als dann die Herrlichkeit anfing zusammenzukrachen, da ist der von Briestedt gerade noch der Rache entkommen. Hatte er früher auf uns Kinder mit der Reitpeitsche eingeschlagen, wenn wir bei seinem Anblick in SS-Uniform nicht rechtzeitig den rechten Arm hochrissen und 'Heil' brüllten, so  tauchte er plötzlich nachts hier auf und war ganz klein mit Hut. Scheiß freundlich grüßte er Leute, die früher für ihn gar nicht existierten. Langsam sickerte durch, dass die Amis wohl nicht ewig in Thüringen bleiben würden, ja es verdichtete sich die Gewissheit, dass wir bald die rote Armee im Dorf hätten. So geschah es, dass wenig später das Herrenhaus leer war, weil die von Briestedts ausgeflogen waren mit samt ihrer Dienerschaft. Noch vor Gründung der DDR wurde über eine Kolchose nachgedacht, denn die von Briestedt hatten umfangreichen Waldbesitz und Ländereien hier. Dann wurde eine LPG gegründet. In den Fünfziger Jahren dann spaltete man die Waldwirtschaft und Holzverarbeitung von der LPG ab und gründete die PGH Holz. Wir hatten fertige Bauhölzer der verschiedensten Arten und auch andere Holzprodukte für Industrie und Handwerk im Angebot gehabt. Bei uns ging's immer rund. Ständig waren Fahrzeuge auf dem Hof, die unsere Erzeugnisse abholten. Ich war im Büro des Dispatcherteams tätig, während die Ursula in der Buchhaltung arbeitete. Dann kamen die Kinder und sie zog mit ihrem Mann nach Bad Falkenstein. Dort gab es auch eine LPG, wo sie dann zur Revisorin aufstieg. Doch nach der Wende wurden wir beide arbeitslos. Die von Briestedts tauchten plötzlich wieder auf. Der olle Theodor hatte längst ins Gras gebissen, nicht ohne  noch ein Bundesverdienstkreuz abzugreifen und  die Kinder mit den Enkeln drängten auf Rückgabe. Die führten sich hier auf wie Graf Koks von der Großgaserei Magdeburg. Unser Bürgermeister wolle schlau sein und bot ihnen das Herrenhaus an um die LPG und die PGH zu erhalten. Schließlich waren ja Viele aus der Stadt dort beschäftigt. Doch diese adlige Bande kriegte schnell  mit, dass die Sanierung des Herrenhauses Millionen verschlungen hätte. Es hieß, die von Briestedts hätten gar kein Anrecht mehr auf ihren Besitz, weil der olle Theodor ein großer Nazi und sogar Kriegsverbrecher war. Doch anscheinend zog das nicht. Es schaltete sich sogar das Büro des Ministerpräsidenten ein und bearbeitete den Bürgermeister, bis er der Rückgabe von Landbesitz und Waldungen zustimmte und dafür das Herrenhaus mit Garten behalten durfte. Wir waren wie vom Donner gerührt, als man uns mitteilte, dass die LPG zusammen mit der PGH liquidiert würde. Doch habe die Familie von Briestedt versprochen, dass das althergebrachte Gebot "Adel verpflichtet" ganz besonders für sie gelten würde und jeder ein Angebot zur Weiterarbeit bekäme. Das kriegten wir dann bei einer ganz dubiosen Weihnachtsfeier, wo sich die von Briestedts gegenseitig in den Himmel hoben, untergejubelt. Dieses Arbeitsangebot  haute uns völlig um. Wir sollten auf Abruf arbeiten und würden nur für die Zeit, wo wir für diese Blase schuften dürften, einen vollen Lohn erhalten. Die arbeitslose Zeit könnten wir ja dann mit anderen Tätigkeiten auffüllen. Es hieß: "Gute Leute braucht man immer." Wir sollten das als Chance zu unserer Weiterentwicklung betrachten. Keiner von uns hat dort weitergearbeitet, was die von Briestedts nicht störte, denn die holten aus den RGW-Staaten sich Arbeitssklaven, die sie in den Stallungen unterbrachte. Mit einem Mal hatten wir Rumänen und Bulgaren im Dorf."

Günther Faerkers beginnt unruhig auf dem Stuhl zu rutschen. Sicher ist das eine neue vielversprechende Geschichte, aber im Moment ist er eher auf Mona ?Lisa scharf. Das bemerkt Frau Wölke und entschuldigt sich: "Ich habe das Ihnen so lang und breit erzählt, damit Sie so einen Eindruck bekommen über den Hintergrund unserer Entscheidung uns mit Heimarbeit eine neue Existenz aufzubauen."   Der Journalist versichert, dass für ihn so etwas auch sehr wichtig sei und die Adelsgeschichte gewiss zu einem anderen Zeitpunkt von ihm weiter verfolgt werde. Sie fährt fort: "Mein Mann und ich haben dann überlegt, was wir für die ehemaligen Kollegen, die jetzt daheim sitzen, tun könnten. Mein Mann arbeitete ja in der Instandhaltung in der LPG, und nun fährt er unter der Woche einen LKW für eine westdeutsche Spedition in Hof. Bis nach Bayern sind es auch einige Kilometer. Da geht viel Freizeit drauf. Außerdem hält man ihm und seinen Kollegen vor, dass sie zu viel Lohn fordern würden. Es gäbe da schon verlockende Angebote aus Estland und Litauen, die mit weniger als der Hälfte des deutschen Lohnes viel mehr arbeiten würden und auch einmal Fünfe gerade sein ließen, was die Arbeitszeit anginge. Daher käme ihm eine solche Strickgenossenschaft sehr entgegen. Also habe ich nach diesem Abend mit dem Herrn Baumeister Kontakt aufgenommen und vorgeschlagen, dass mein Mann und ich eine GbR gründen würden und die Frauen dann als stille Teilhaberinnen über diese Schutzgebühr für Mona Lisa Art GmbH für die Produktion, wie im Vertrage vorgesehen, entlohnt würden. Er stimmte dem auch zu und räumte bei Abnahme einer bestimmten Zahl von Maschinen uns auch einen Rabatt von fünf Prozent ein. Ich solle dann die Verträge einsammeln, das Geld auf sein Konto überweisen und dann könnte er umgehend liefern und die Mitarbeiter für die Schulung uns zur Verfügung stellen. Mein Mann und ich sind dann zum Rechtsanwalt gegangen. Er ist hier im Ort schon seit Urzeiten beschäftigt. Er hat sich die Verträge angesehen und fand daran nichts auszusetzen. Dann haben wir mit unseren Frauen einen Vertrag geschlossen, wo sie uns die Vollmacht ausstellten, dass wir das Geld dann an den Herrn Baumeister überweisen dürften, um den Rabatt zu erhalten. Wir dachten, jetzt ist alles in Ordnung und wir können durchstarten. Die Ursula sollte mit ihrem Misstrauen nicht recht behalten." Sie macht ein Pause. Günther Faerkers glaubt seinen Ohren nicht zu trauen. "Dann haben sie tatsächlich Zehntausende an Mona Lisa Art überwiesen?" "Ja, es waren genau 57 000 DM. Das war gar nicht so einfach eine solche Summe zu transferieren, wie sich der Bankmitarbeiter ausdrückte." "Sie haben doch sicher einen Beleg dafür, wohin das Geld ging?" "Na klar", lässt sich Herr Wölke vernehmen, "ich zeige Ihnen den gleich. Wir haben Fotokopien für alle Beteiligten davon machen lassen." Wenig später hält der Journalist eine Kopie der Zahlung in den Händen. "Meine Güte", entfährt es ihm, "Das ist ja genau wieder dieser Eugen Aschmann in Korbach, der hat also bei der Dresdner Bank ein Konto." Frau Wölke nickt: " Wieso wundern Sie sich? Der Herr Aschmann ist Besitzer einer Steuerberatungsgesellschaft, die die gesamte Buchhaltung für die Mona Lisa Art GmbH führt." Günther Faerkers verzieht das Gesicht. "Das ist ja eine ehrenwerte Gesellschaft. Die räumen anscheinend täglich die Konten ab, denn den Scheck über 5000 DM von meinen Vermietern haben sie genau einen Tag später vom Konto geholt, bis auf eine müde Mark, die sie stehen lassen mussten." Herr Wölke schüttelt den Kopf: "Hm, es kann aber auch sein, dass der Herr Baumeister Anweisung gab ihm die Summe sofort zu übermitteln. Die Firma Aschmann muss da gar nichts mit zu tun  haben. Die reagieren doch auf Anweisung."  "Das will ich herausbekommen, wie war das bei Ihnen? Hat es eine Rückmeldung gegeben?" Frau Wölke schüttelt den Kopf: "Nein, das ist es ja. Wir haben vor zwei Wochen erfahren, dass auf dem Konto der Zahlungseingang registriert wurde, doch würde die Lieferung noch vom Zoll in Hamburg zurückgehalten, weil es Unstimmigkeiten mit der Deklaration gäbe. ?Dieser Artikel der 'Thüringer Nachrichten' hat uns misstrauisch werden lassen. So haben wir sogleich bei der Sparkasse nachgefragt, weil wir den Betrag zurückrufen wollten. Doch die teilten uns wenig später mit, dass die Dresdner Bank den Kontostand von Herrn Aschmann, wie Sie sagen, tatsächlich nur mit einer D-Mark angab. Das war ein Schlag ins Kontor. Wenn der Baumeister nicht liefert, dann sind wir geliefert. Den Herrn Baumeister haben wir weder in Wolfhagen noch auf dem Handy erreichen können. Stellen Sie sich einmal den Skandal vor. Wir wollen etwas Gutes für unsere ehemaligen Kollegen tun und am Ende sind alle bettelarm dabei geworden. Wir können doch keinem Bürger in Riehe mehr in  die Augen schauen. Wir stehen dann auch als Betrüger da. Darum darf davon auch nichts in die Presse."

Es herrscht ein betretendes Schweigen. Günther Faerkers fängt sich als Erster.
"Das lässt sich nicht verheimlichen auf Dauer. Es werden sich noch mehr Geschädigte melden. Da bin ich mir sicher. Was ich machen kann, das ist ihre Geschichte nach Aebellehm zu verlagern, das ist weiter weg und die Story so zu verändern, dass man nicht auf die wahren Opfer kommt. Doch Sie müssen schon Ihren Mitstreitern reinen Wein einschenken. Sonst machen Sie sich ja unglaubwürdig. Aber je mehr Geschädigte sich melden, desto weniger wird ein Betrachter auf die Idee kommen Sie als unbedarfte Dorftrottel, die auf jeden Schwindel reinfallen, anzusehen." Seine Worte verfehlen nicht ihre Wirkung.

Das Ehepaar Wölke entspannt sich zusehends und nach einer weiteren halben Stunde, die sie angeregt plaudernd verbringen, verabschiedet sich Günther Faerkers nicht ohne noch abschließend den Dank der Beiden zu empfangen.





Die Anzeigenzeitung besitzt einen Vorteil. Der Sonntag ist redaktionsfrei. Im Gegensatz zu einer Tageszeitung, die auch am Montag erscheint, wird bei dem Hainleiteboten nicht gearbeitet. Lediglich Termine für sonntägliche Veranstaltungen sind wahrzunehmen, die sich jedoch nicht über Stunden erstrecken. Ausnahmen bilden nur die Sportereignisse. So sitzt Günther Faerkers ruhig an seinem Schreibtisch, surft ein wenig im Internet, dass sehr holprig ist und viel Geduld verlangt. Sein Modem ist schon das schnellste, aber die angebliche hochmoderne Fernsprechtechnologie, die das marode Telefonnetz der Deutschen Post ablösen soll, scheint sich noch im Planungsstadium zu befinden. Endlich landet er auf der Website des "Korbacher Anzeigers". Befriedigt sieht er, dass die lieben Kollegen an diesem Nachmittag dort aktiv sind um die Montagsausgabe fertig zu stellen. Er beschließt jetzt anzurufen. Nach kurzer Zeit wird er mit einem Redakteur, der sich am Apparat mit Harry Schulze-Gomez vorstellt, verbunden. Günther betont, dass er nicht als Redakteur des "Hainleite-Boten" anrufe, sondern als Privatmann. Er berichtet, dass ein Onkel von ihm völlig vereinsamt in einem Leipziger Altersheim verstorben ist. Um einen Erbschein zu beantragen, ist es erforderlich die Geburtsurkunden noch lebender Verwandter und deren Aufenthaltsort zu erfahren. Sein Onkel hatte noch einen weiteren Neffen, seinen Cousin Eugen Aschmann, doch zu ihm hätte er vor fünfzehn Jahren das letzte Mal Kontakt gehabt. Er habe damals in Korbach gewohnt, doch danach schien er verschollen zu sein. Als der Name Eugen Aschmann fällt, wird er fröhlich unterbrochen. "Das ist ja ein Ding. Jahrelang haben wir über den Jungen nicht mehr gesprochen und heute gleich zwei Mal. Mein Kollege, der auch das Sportressort betreut, hat ihren Cousin nämlich in der letzten Woche auf der Bank getroffen. Die Zwei haben sich dann sehr eingehend unterhalten und davon berichtete er mir heute. Sie werden sich in unserer Gegend ?bestimmt nicht gut auskennen, was ich aus ihrem leichten Berliner Akzent heraushöre. Also, der Eugen war der Star im Radfahren bei uns im Waldecker Land. Der Junge hatte eine unbeschreibliche Kondition und Zähigkeit gepaart mit Talent. Ihm stand eine steile Karriere im Radsport bevor. Kein Rennen oder Tour, in der er nicht in unserer Zeitung erwähnt wurde. Doch sein Vater bestand darauf, dass der Eugen eine Berufsausbildung erfolgreich abschließt.  So lernte er Koch in dem eleganten Schloss-Hotel Arolsen. Das war ein weiser Entschluss, wie sich leider bald herausstellen sollte. Bei einem Training im Sauerland ist er auf einer schmalen Straße von einem Porschefahrer, der trotz entgegenkommendem LKW überholte, von dem Fahrer in den Straßengraben abgedrängt worden, wo unglücklicherweise ein dicker Baum stand. Ein halbes Jahr lag Eugen im Krankenhaus. Als er es wieder verließ, war er soweit wieder hergestellt, doch der Traum von dem Teammitglied bei der Tour de France war endgültig ausgeträumt. Er hat wohl dann seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und blieb noch ein Jahr in dem Hotel, bis es dort wohl Probleme gab. Er wurde gegangen, die Gründe sind nicht bekannt. Als mein Kollege ihn jetzt wieder traf, erzählte er, dass in Spanien in einem Luxushotel jemand als deutsche Küchenchef gesucht wurde und er diesen Posten jahrelang ausfüllte, bis er genügend gespart hatte, um sich wieder in Deutschland selbstständig zu machen. Im Moment sei er bei einem spanischen Strickmodekonzern und baue hier die deutsche Repräsentanz auf. Er wohne jetzt in der Nähe von Kassel an der Autobahn nach Borken. Mein Kollege meinte dazu nur, dass er wohl ziemlich aufgeschnitten habe. Denn sein Aussehen kam nicht dem eines Managers in dieser Position nahe. Als er ihn dann wegfahren sah, bemerkte mein Kollege nur lakonisch, dass der betagte Seat-Toledo wohl das einzige spanische an ihm gewesen sei. Aber, verständlich, wer so hart vom Schicksal gebeutelt wurde, der will eben auch einmal ganz oben schwimmen und sei es nur bei uns im Waldecker Land." Bevor der redselige Herr Schulze-Gomez jetzt ihm dumme Fragen stellen könnte, beeilt er sich zu erwidern:" Selbstbewusst war er schon damals, doch ich wusste nur von der Kochlehre und, dass er ein Ass im Radfahren war. Dieser Unfall muss für ihn wirklich ein schreckliches Ereignis für ihn  gewesen sein. Über die Bank werde ich seine Anschrift bestimmt nicht herausbekommen, wegen Bankgeheimnis." "Das brauchen Sie doch auch gar nicht. Die Gegend, wo er jetzt wohnt, da gibt es nur drei Kreise, wo Sie im Einwohnermeldeamt nachfragen können. Als Beteiligter in einem Erbverfahren ist das doch Begründung genug und der Eugen wird sich freuen, wenn er von Ihnen wieder etwas hört." "Da bin ich mir absolut sicher", gibt Günther Faerkers im  Brustton der Überzeugung zurück, "ich darf mich jetzt bei Ihnen ganz herzlich für die Mühe bedanken und wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Abend." Man verabschiedet sich von einander und Günther lehnt sich befriedigt in seinem Schreibtischstuhl zurück.

Es klingelt an der Tür. Als Günther die Tür öffnet, steht Sascha Bechtloff davor und fragt: "Darf ich reinkommen?" Günther nickt und wundert sich nur über den ernsten Gesichtsausdruck des Jungen. Sie gehen in sein Arbeitszimmer und Sascha bekommt einen freien Stuhl angeboten. "Was führt dich hierher", wird der Junge gefragt. Sascha kommt ohne Umschweife zum Thema. "Du weißt doch, dass ich dir von meinen Großeltern erzählt habe. Mutti hat ihnen vor einiger Zeit von ihren Plänen erzählt. Sie war es leid, dass die Bulettenbräter in Nordhausen-Bielen sie nachts raus klingeln und dann muss sie zwei Stunden bis vier Uhr früh's gerade einmal für achtzehn D-Mark, Nachtzuschlag inklusive, arbeiten. Sie kann sich die Arbeit doch gar nicht einteilen und es sind immer solche Kleckerbeträge. Doch meine Großeltern waren nicht begeistert. Jetzt ?sieht es ja so aus, als ob sie recht behalten. Hast du den Artikel schon in Druck gegeben? Das wäre nämlich doof. Ich wollte dich bitten, ob du meine Eltern da etwas raus halten kannst.Damit Oma und Opa nicht spitz kriegen, was wirklich passiert ist. Kannst du da was machen?" Günther Faerkers lächelt und klärt Sascha auf. "Also, bei uns im Hainleite-Boten findet am Mittwoch die letzte Redaktionskonferenz vor dem Druck statt. Am Donnerstag wird die Ausgabe für Freitag gedruckt und danach an unsere Verteiler geschickt. Die sorgen dann dafür, dass jeder Haushalt mit unseren Neuigkeiten versorgt wird. Du kannst aber sicher sein, dass die geschilderten Betrugsfälle, denn das sind sie ganz offenkundig, so dargestellt werden, dass nicht jeder sofort auf die Betrogenen schließen kann. Da ist der Dorfklatsch viel effektiver. Aber ich kann dich beruhigen, ich habe eine andere Geschichte zu berichten, die viel ärgerlicher für die Betroffenen ist, als deine Eltern es erlebten. Obwohl natürlich Jeden der Geldverlust schmerzt, und wer lässt schon gern betrügen." Er schildert dem Jungen ausführlich den Besuch bei der Familie in Riehe und erklärt ihm, wie er den Vorgang verändern wird, damit die Opfer nicht sofort enttarnt werden können. Sascha ist beruhigt und so reden sie noch eine Weile, bis Marina Bechtloff nach ihrem Jungen ruft, der sich sogleich in die obere Etage begibt.   





Am Freitag erscheint nach der juristischen Einleitung in der vergangenen Woche die zweite Folge der "Mona Lisa-Serie". Der Schwerpunkt liegt in dem Bericht über das Gebaren der Mona Lisa Art GmbH, die allerdings dort nicht mit richtigem Namen genannt wird, doch so beschrieben wird, dass die Leser, welche mit dem Herrn Baumeister in Kontakt kamen, ihn aus der Beschreibung wieder erkennen. Die Handlung des Geschehens ist nach Aebellehm verlegt worden mit dem Hinweis, dass auch von anderen Orten Meldungen über dieses Unternehmen vorlägen. Rechtsanwalt Wegener hatte gerade noch rechtzeitig nach Lesen des Entwurfs bemerkt, dass es noch zu früh sei um den Vorwurf eines Betruges, ja sogar gewerbsmäßigen Betruges zu erheben. Denn ein leer geräumtes Konto bewiese ja nicht, dass der Herr Baumeister gar nicht daran denken würde eine Strickmaschine zu liefern. So solle man es bei einer Warnung belassen und auf erhöhte Wachsamkeit vor dem Leisten einer Unterschrift hinweisen. Am Freitag findet Günther Faerkers ein Schreiben der Thüringer Verbraucherschutzvereinigung vor. Dort wird ihm mitgeteilt, dass seine Fragen zu dem Unternehmen Mona Lisa Art GmbH an die Verbraucherzentrale Hessen abgegeben wurde. Er beschließt deshalb am Samstag bei dem Bezirksschornsteinfeger in dem Weidenweg 5 in Wolfhagen anzurufen. Jetzt wählt er die Nummer des eingetragenen Geschäftsführers dieser Bildungsgesellschaft einen Jörg Weber, der in Jena - Winzerla seinen Wohnsitz hat. Tatsächlich meldet sich nach kurzem Läuten ein Jörg Schneider und ist offenbar überhaupt nicht verärgert, dass die "Presse" am Telefon ist. Es reichen einige Stichworte und es sprudelt nur so vor Bemerkungen und Wertungen zur Person des Herrn Baumeister. "Herr Faerkers, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Unsere Bildungsgesellschaft ist dazu gegründet worden, dass wir körperlich behinderte Bürger aus Camburg und Umgebung eine berufliche Alternative aufzeigen wollen. Durch den Zusammenbruch der Industrie ringsum und die Abrissarbeit der Treuhand sind die ehemaligen Angehörigen der volkseigenen Betrieb praktisch ins Bodenlose verfallen. Ihre Behinderung wird an den Bestimmungen der westdeutschen Gesetz gemessen. Da sind auch Leute dabei, die wegen ihrer Beeinträchtigung keinen Behindertenstatus hatten, aber vom Betrieb aus an besonderen Arbeitsplätzen beschäftigt waren. Im Sozialismus gab es ja keine Berufskrankheiten, darum war die Betriebsleitungen absolut nicht scharf darauf mehr Geschädigte als ?man notgedrungen zugeben musste, aufzuweisen. Die sind jetzt natürlich gekniffen. Da haben wir in einer Strickwarenerzeugungsgenossenschaft zusammen mit Mona Lisa Art GmbH eine Lösung gesehen, wie diese Bürger wieder in Lohn und Brot kommen und eine Zukunftsperspektive erhalten." Günther Faerkers unterbricht: "Deshalb haben Sie dann die "LPG-Wolle" gegründet. Wie viel Leute sollte die denn umfassen und für jeden wäre dann ja eine Strickmaschine zu kaufen?" Jörg Weber muss lachen: "LPG-Wolle" klingt gut, Sie werden es nicht glauben, wir waren über 100 Leute und haben einhundert Maschinen bestellt." "Wie bitte? Sie haben für jede Maschine mindestens 2500 D-Mark abgedrückt? Das sind ja 250 000 Mark. Die haben Sie doch hoffentlich nicht überwiesen?" Es entsteht eine Pause, dann lässt sich Jörg Weber gequält vernehmen:"Leider ja. Manche haben Kredite aufgenommen, sich das Geld von Verwandten gepumpt. Es hieß ja. dass dieses Geld als Einlage in die Genossenschaft verwendet wird. Das Wirtschaftskonzept befindet sich zur Begutachtung bei dem genossenschaftlichen Prüfungsverband. Die Satzung ist von einem Fachmann der Stadt Camburg erstellt worden. Die Stadt verfügt ja auch über eine Genossenschaft, da unser Projekt von der Stadt gefördert wird, so nutzen wir zum Beispiel städtische Räume zu sehr günstigen Konditionen, konnte wir schon eine Menge Kosten sparen. Jetzt ist das Geld weg und wir haben uns so blamiert, dass man mir Vorwürfe macht, dass ich zu leichtgläubig und unerfahren bin. Dabei habe ich jahrzehntelang eine PGH geführt."  Günther Faerkers schaut auf den Cassettenrecorder, der über den Außenlautsprecher des Telefons das Gespräch aufnimmt. Es ist noch genug Band vorhanden. Denn dieses telefonische Interview muss anschließend sehr sorgfältig ausgewertet werden. "Wissen Sie denn, wo das Geld geblieben ist?" "Ja, zumindest bei wem die Zahlungen landeten. Wir haben ja die Summe in mehreren Raten überwiesen. Die gingen alle auf das Konto vom 'Eugen der eitle Kriecher' bei der Dresdner Bank in Korbach." Günther lacht:" Sie meinen wohl den Eugen Aschmann, der ist wohl nicht so ihr bester Freund:" "Den konnte doch keiner von uns sonderlich leiden. Es hieß, Herr Aschmann sei für die Verwaltung der eingehenden Gelder zuständig. Er sei Mitglied in einer angesehenen Korbacher Steuer- und Unternehmensberatungsgesellschaft. Erst hatte man ihm ja geglaubt. Er hat oft damit  geprotzt, dass er zuvor in einem spanischen Luxushotel sämtliche Abrechnungen in der Gastronomie gemanagt habe. Der Baumeister sprach immer von seinem Ziehsohn, den er nach seinem schweren Unfall wieder auf die Beine geholfen habe. Sie hätten dann in Spanien eine Hotelanlage betrieben. Das war alles sehr stark übertrieben, wie sich später herausstellte. Wir waren mal abends hier in Jena in einer Altstadt-Kneipe 'auf ein Bier' gegangen. Das ist meine Stammkneipe und durch reinen Zufall gesellte sich ein weiterer Westdeutscher zu uns, der wohl das Wort Benidorm in unserem Gespräch aufgeschnappt hatte. Der Baumeister hatte schon mehrere Pilse und Nordhäuser intus, weil er keine Fahrerlaubnis mehr besaß und selbige auch nicht mehr verlieren konnte. Sein Eugen musste ihn immer kutschieren, der hatte sich auf zwei Stunden von uns verabschiedet, weil er das Studentenleben erkunden wollte. Ich habe dann kaum auf die Unterhaltung geachtet, wie die Zwei sich über Benidorm austauschten. Mich langweilte das. So blieben mir nur Bruchstücke in meiner Erinnerung. Doch zwei Tage später treffe ich den Wessie in der Kneipe wieder. Er stellte sich als Servicetechniker vor, der bei dem Ausweiden von Kombinat Carl-Zeiss-Jena noch brauchbare Maschinen für Zeiss-Oberkochen prüfen sollte.  Dieser schenkte mir dann reinen Wein ein. Baumeister hatte in Benidorm ein ziemlich heruntergekommenes deutsches Restaurant betrieben, was sich "Casa Deutschland" nannte. Der Eugen war dort ?Koch und im Angebot war so ziemlich alles, was man in jedem Dorf bei uns auf der Speisekarte findet. Dazu dudelte unerträgliche Blasmusik. Der Schuppen machte keinen sehr ansprechenden Eindruck. Das Mobiliar war noch aus den Siebziger Jahren und hatte wie das ganze Etablissement schon wesentlich bessere Tage gesehen. Es ähnelte dem Erscheinungsbild des werten Herrn Baumeister.  Nachvollziehbar war die Begründung für den Abflug der Beiden aus Spanien. Das Geschäft mit den deutschen Touristen lohnte sich nicht mehr. Die klassischen Gäste, die selbst in Thailand noch auf ihr Schnitzel in den asiatischen Restaurants pochten, die waren schon längst im Altersheim oder verstorben. Als ich das hörte, fing ich an misstrauisch zu werden. Es war nun an der Zeit, dass die ersten Strickmaschinen geliefert werden sollten, doch nichts geschah. So rief ich den Herrn Baumeister am Wochenende in Wolfhagen an und fragte nach, wann denn nun die Lieferung erfolgen könnte. Er meinte eine Ladung läge noch im Hamburger Hafen fest und wäre nicht vom Zoll freigegeben worden. Es gäbe da wohl Probleme mit den Zollpapieren. Zwei Wochen später erwischte ich ihn wiederum an einem Sonntag, wo er anscheinend schon getankt hatte. Er meckerte rum, dass man ihn mit solchen Sachen am Wochenende in Ruhe lassen sollte, er war schon recht schwer zu verstehen, von wegen Alkohol, als ich nicht locker ließ brüllte er, dass er doch schon vor zwei Wochen von den Zollproblemen erzählt hätte und er mit dem Eugen in drei Tagen in Hamburger Hafenzollamt wäre und dann alles klären würde. Soviel Zeit müssten wir schon aufbringen, denn wir hätten ja auch 40 Jahre Ulbricht und Honecker ertragen. Es knackte nur noch und die Leitung war tot. Ich war stinksauer und zugleich mochte ich gar nicht daran denken, was mir bevorstünde, wenn ich vor den Anderen zugeben müsste, dass aus der Genossenschaft nichts wird und das Geld auch futsch sei. Deshalb rief ich am Montag im Hauptzollamt Hamburg-Hafen an. Nach einigen Vermittlungsversuchen landete ich beim dem zuständigen Beamten. Er war sehr hilfsbereit und als ich nach einer Ladung von Strickmaschinen aus Japan fragte, die für das Unternehmen "Mona Lisa Art GmbH" bestimmt seien, erfuhr ich, dass weder das deutsche Unternehmen bekannt sei, noch eine dermaßen deklarierte Ladung in den letzten vier Wochen eingetroffen war. Er wunderte sich sehr, dass ausgerechnet eine Partie solcher Maschinen von einem so unbekannten Unternehmen importiert würden, denn eigentlich besäßen solche Artikel entweder dem Amt bekannte Importeure oder würden über deutsche Niederlassungen der japanischen Maschinenhersteller vertrieben. Ferner seien bei ihm in den letzten Monaten keine solchen Einfuhrpapiere über seinen Schreibtisch gegangen. Ich solle doch einmal mir den Typ und den Hersteller einer solchen Maschine anschauen, vielleicht könnte ich dann den Importeur oder die Niederlassung ausfindig machen. Ich dankte ihm und legte auf. Der Baumeister hatte uns ja extra in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass die Mona Lisa ganz besondere Strickmaschinen mit einer ausgeklügelten Software und geschützten Mustern auf Disketten verwenden würde. Dafür gäbe es ja die Schutzgebühr und dieses 'know how' besäße eben die Konkurrenz in Deutschland nicht. Das passte doch nun gar nicht zusammen. Es blieb mir nichts übrig, ich musste unsere Leute zur Beratung zusammen trommeln. Das war ein unvergesslicher Abend, so elend habe ich mich noch nie gefühlt. Schließlich beschlossen wir die letzte Zahlung, sie war drei Tage zuvor erfolgt, wieder vom Bankkonto des Eugen rückgängig zu machen.  Das wurde von der Dresdner Bank in Korbach abgelehnt mit dem Hinweis, dass das Geld bereits auf ein anderes Konto weiter überwiesen sei.  Um den Zahlungsweg weiter verfolgen zu können, sollten wir einen gerichtlichen Beschluss vorzeigen oder durch Strafanzeige ein Ermittlungsverfahren einleiten lassen. Die Stadt ?Camburg hat uns auch dabei geholfen, die wollten natürlich auch nicht, dass daraus ein Flop wird. Schließlich hatte ja schon die Lokalpresse und der MDR über dieses Projekt  berichtet. Der Justitiar der Stadt empfahl uns zunächst den Weg über ein Mahnverfahren. Denn der Verdacht eines gewerbsmäßigen Betruges bestünde zwar, doch sei noch nicht schwerwiegend genug, dass dafür ein Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren einleiten würde. Ja, und so haben wir die Mona Lisa abgemahnt, bisher hat sich seitens des Herrn Baumeisters nichts getan. Das ist der Stand der Dinge." Günther Faerkers klingt ein wenig verzagt, als er antwortet: " Ich fürchte, dass Sie die Geldbeträge in den Wind schreiben können. So ist es auch bei den anderen Geschädigten in unserem Landkreis. Ich frage mich nur, wie konnte dieses vertrocknete Räuchermännchen  nur so erfolgreich sein?" "Ein wenig wahres ist schon dran an der Kritik an uns ehemaligen DDR-Bürgern. Wir waren solche dreisten Betrügereien nicht gewohnt. Wenn der Ulbricht oder der Erich einen Beschluss verkündeten, dann wussten wir auch, dass er leidlich vollständig in die Tat umgesetzt wird. Dass man aber skrupellos belogen wird, das gab es eigentlich nur im "Polizeiruf 110" und da wurde so etwas immer aufgedeckt. Außerdem blendet es schon, wenn jemand im schwarzen Mercedes im Autobahn-Interhotel am Hermsdorfer Kreuz seine Verhandlungen führt, und ständig hat Eugen der eitle Kriecher auch nicht seinen Ringelpullover getragen, sondern schon einen Anzug mit Binder. Es hörte und las sich einfach zu gut, als dass man vermuten wollte, da will uns jemand über den Tisch ziehen, wie die plumpen West-Drücker nach der Wende." " Da haben Sie leider recht. Ich habe unser Gespräch aufgezeichnet, um dann daraus eine weitere Folge für die Serie 'Mona Lisa und die Heimarbeit' für die nächste Freitagsausgabe zu verfassen. Sind Sie damit einverstanden?" "Ja, das bin ich. Da stehen auch die anderen Mitstreiter dahinter. Wir hatten schon überlegt, ob wir nicht unsere Lokalpresse und den MDR einschalten können, doch Beide haben nur abgewinkt. So was käme alle Tage in Deutschland vor und unsere Story gäbe zu wenig her, besonders, weil es ja viele Vermutungen wären, die wir da äußern würden." Der Journalist versichert Jörg Weber, dass er sich an die Tatsachen halten würde und lediglich Herrn Baumeister und seinen Eugen als Restaurantbetreiber in Spanien beschreiben würde. "Nu freilisch", ist Jörg Weber erleichtert, "wir können im Moment nichts anderes machen, als Andere vor diesem Pärchen  zu warnen. Schaden genug haben sie ja angerichtet." Günther Faerkers bedankt sich sehr herzlich für dieses ausführliche Interview und verspricht Jörg Weber auf dem Laufenden zu halten, falls er neue Informationen heraus kriegen würde.






Der Stundenzeiger der Uhr deckt sich gerade mit dem Minutenzeiger über der 12, als ihm siedend heiß einfällt, dass er noch gar nichts für das Wochenende eingekauft hat. Wenig später fährt er nach Possenhausen um in dem neuen Supermarkt auf dem Gelände des ehemaligen Elektrokombinates sich mit Lebensmitteln und Getränken einzudecken. Als er an der Kasse in der Schlange steht, hört er wie sich zwei Frauen hinter ihm über den Artikel aus dem Hainleite-Boten unterhalten. "Hast du das gelesen, da von dem Reporter, der über Heimarbeit schreibt?" "Freilisch, bei meiner Nachbarin ist auch so ein komischer Mann gewesen, der wollte ihr eine Strickmaschine andrehen, wo sie doch zwei linke Hände hat. Weiß der Kuckuck wie er auf ihre Adresse kam. Jedenfalls waren ihre Hände gelenkig genug um ihm die Tür vor der Nase zu zuknallen. Hinterher hat sie sich bei mir beschwert. Ihre beste Freundin hätte doch nach dem Bericht in den 'Thüringer Nachrichten' sich an diese Firma gewandt und einfach ihre Adresse angegeben, weil sie doch auch sonst so gut befreundet sind. Unglaublich, wie dumm manche Menschen sind." "Wie-en? ?'Thüringer Nachrichten". Ich lese doch die gar nicht mehr. Immer solche Jubelartikel, wie früher in der Bezirkszeitung, die hinten und vorne nicht stimmten. Außerdem können wir uns eine Tageszeitung gar nicht leisten, seit der Erwin daheim ist und ich auch keine Arbeit mehr habe." "Ich lese die mit dieser Freundin zusammen, da teilen wir uns den Preis. Aber dieser Artikel über den komischen Unternehmer hat eine geschrieben, die immer solche schmalzigen Geschichten von den guten Westdeutschen ins Blatt bringt. Das mag ich schon gar nicht mehr lesen." Günther Faerkers ist an der Reihe und verstaut seine Lebensmittel in einer großen Einkaufstasche. Es ist gleich vierzehn Uhr. Er will noch in Wolfhagen anrufen.





Eine halbe Stunde später sitzt er wieder ans einem Schreibtisch, und sucht am Computer die Telefonnummer von Bezirksschornsteinfegermeister Koppmann im Weidenweg 5. Zuerst meldet sich eine Frauenstimme, die ihm sogleich antwortet, dass ihr Mann im Garten wäre und er sich etwas gedulden möge. Kurze Zeit später ist eine etwas atemlose Männerstimme mit: "Reinhard Koppmann, Bezirksschornsteinfegermeister", zu hören. "Guten Tag Herr Koppmann, ich rufe nicht wegen eines Problems mit meiner Heizung an, sondern ich versuche schon seit einigen Tagen den Herrn Baumeister unter der Telefonnummer der Mona Lisa Art GmbH zu erreichen. Wissen Sie, ob er weggefahren ist und vielleicht auch, wann er wiederkommt.?"
"Ach so, meist rufen mich die Leute aus der Umgebung immer am Samstag an, wenn es etwas dringendes gibt, weil ich tagsüber meist auf Achse bin. Tja, also ich dachte gerade, Sie können mir Auskunft über den Verbleib von dem sauberen Herrn Baumeister geben. Der schuldet mir die Miete seit Dezember und ist offenbar ausgeflogen mit seinem Neffen, der immer hinter meiner jüngsten Tochter hinterher war." "Sie meinen den Eugen Aschmann? Das ist doch sein Finanzmanager, der Teilhaber einer Steuerberatungsgesellschaft in Korbach ist." "Wer hat Ihnen denn diesen Unsinn erzählt? Der Eugen war mal auf dem Weg zum Radprofi in ganz jungen Jahren. Der war sogar bei uns bekannt. Dann kam der Unfall und dann ist er plötzlich mit seinem Onkel hier aufgetaucht. Der hat den Herrn Baumeister eigentlich nur gefahren, weil der werte Herr seinen Führerschein wegen seines Saufens los wurde. Die haben am Wochenende mindestens einen Kasten Bier leer gemacht. Ok, solange es ruhig blieb, hat mich das nicht gestört. Aber vor zwei Wochen sind die Knall auf Fall hier verschwunden. Ehrlich gesagt, ich weine denen keine Träne mehr nach, aber die Miete hätte ich doch bitte schön sehr gern. Die Kaution nehme ich dann für die Renovierung der Wohnung. Doch erst einmal muss die Räumungsklage durch sein. Die obere Wohnung haben wir früher selbst bewohnt, bis meine Mutter nach dem Tod meines Vaters in ein Seniorenheim zog. Da sind wir dann nach unten und haben die obere Wohnung vermietet. Ich habe jetzt auch ein ordentliches Büro. Doch nun hat sich meine Älteste dazu entschieden, weil sie bald ein Kind erwartet, mit ihrem Freund oben einzuziehen. Daher kommt mir das Verschwinden der Zwei gerade recht, aber mein Geld will ich auch haben."

"Haben Sie es denn mit einem Mahnverfahren probiert? Der Herr Baumeister hatte doch bestimmt ein Bankkonto, wenn nicht sogar mehrere wegen der Firma." "Stimmt, der hatte ein Konto bei der Volksbank, die Betonung liegt auf 'hatte'. Als ich das Konto pfänden wollte, da war es schon aufgelöst. Da ist also nichts zu holen." Günther Faerkers überlegt etwas, dann platzt es aus ihm heraus:" Was ist, wenn die gar nicht mehr in Deutschland sind? Immerhin haben sie schon einmal längere Zeit in Spanien zugebracht."Daran habe ich ?auch schon gedacht. Da fällt mir etwas ein. Vor zwei Tagen hat meine Frau mich angesprochen, dass es oben aus der Wohnungstür etwas müffelt. Da dachte ich bei mir, das wäre doch ein Grund in die Wohnung zu gehen. Ich habe ja für solche Fälle einen Zweitschlüssel. Also, wir sind da 'rein. Da sah es unbeschreiblich drin aus. Die müssen wohl Unmengen an Papier vernichtet haben. Zig Kartons waren randvoll mit Papierschnitzeln, dann hatten sie in der Küche noch Lebensmittel in der Wärme stehen lassen, die jetzt vergammelt waren. Die wollten wohl noch den Müll runter bringen, haben es anscheinend nicht mehr geschafft. Die Säcke standen im Flur und erzeugten diesen Gestank, den meine Frau bemerkt hatte. Da meine Frau vormittags in einer Drogerie arbeitet, die Jüngste in der Schule ist, sie macht jetzt Abitur, war keiner von uns anwesend. Die müssen also den Moment abgepasst haben und sind verduftet ohne den Müll wegzubringen." "Das sieht nach überstürzter Flucht aus", bemerkt Günther, aber die müssen ja auch Gepäck dabei gehabt haben. Hatten die denn ein eigenes Auto?" "Ja, so einen klapprigen Passat, den sie nicht viel gefahren haben. Die hatten wohl immer Leihwagen. Der Passat ist auch weg. Was ich noch sagen wollte. Ich habe doch noch etwas verwertbares gefunden. Auf dem Couchtisch lag eine leere Hülle mit dem Aufdruck "Iberia", das kennen Sie vielleicht, wo das Reisebüro die Flugkarten rein stopft. Ja, und dann war da noch so ein Prospekt über Guatemala, so ein paar Maya Skulpturen waren darin  zu sehen, aber der Text nur in spanisch. Doch was wollen die denn dort? Außerdem nach Urlaubsreise sah mir die Wohnung in diesem Zustand nicht aus." "Wussten Sie denn nicht, dass der Herr Baumeister mit Eugen Aschmann lange Jahre in Spanien in der Ferienkolonie Benidorm einen deutschen Gasthof betrieb?" "Nee, über so etwas haben wir gar nicht gesprochen, der Alte hat so gut wie nichts über seine Vergangenheit erzählt. Der Eugen dagegen hat gegenüber meiner Jüngsten mit seiner Tätigkeit in einem Luxushotel in Spanien geprahlt. Die hat das aber für reine Angabe gehalten. Meinen Sie, dass die sich eventuell nach Südamerika abgesetzt haben?" "Guatemala ist Mittelamerika, aber dort wird spanisch gesprochen und es ist eine Bananenrepublik. Also in Wirklichkeit heißt das Parlament dort "Chiquita". Die USA haben in den Fünfziger Jahren dort die demokratisch gewählte Regierung durch militärische Intervention weg geputscht und eine Militärregierung eingesetzt. Diese Regierung ist an die Weisungen des amerikanischen Konzerns gebunden. Ich bin sogar überzeugt, dass die Zwei dort nicht nur hingeflogen sind, um sich Denkmäler aus der Maya-Zeit anzuschauen, sondern um dort sich einen fröhlichen Lenz zu machen. Sie haben ja genug Kohle." "Das ist nicht ihr Ernst. Wie komme ich jetzt an mein Geld?" "Sie müssen die Räumungsklage zum Erfolg führen und bei dem Gericht einen Mahnbescheid beantragen. Doch da kann Ihnen nur ein Rechtsanwalt weiterhelfen." " Oh, dann muss ich ja alles vorher selbst bezahlen. Nee, ich warte, bis die Räumungsklage durch ist und lasse dann das Ganze entrümpeln. Schließlich ist ja meine Tochter nur eine begrenzte Zeit schwanger. Sie ist ja kein Pferd, was fast ein Jahr trächtig ist." "Da haben Sie recht, aber das ist ja ein gutes Argument das Verfahren zu beschleunigen. Sie haben jetzt doch einen Eigenbedarf. Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei. Eine Frage habe ich noch. Haben Sie bei der Verbraucherzentrale Hessen etwas gegen die Mona Lisa Art unternommen? Der Herr Baumeister ist ja stets als Geschäftsführer aufgetreten." "Woher wissen Sie denn davon? Ja, ich habe Anfang Februar die Faxen dicke gehabt und bei der Verbraucherzentrale Hessen angefragt wegen einer frühzeitigen Kündigung. Die hatten ja da oben ihr Büro und wickelten von dort aus die Geschäfte ab. Bei einer geschäftlichen Mietsache gibt's ja kürzere Fristen.  Ich erhielt eine merkwürdige Auskunft. Man würde mit der ?Verbraucherzentrale in Thüringen und Nordrhein-Westfalen an dem Fall 'Mona Lisa Art GmbH' arbeiten und empfahl mir bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige zu stellen. Damit konnte ich nun gar nichts anfangen." "Da kann ich Ihnen weiterhelfen, diese Firma ist eine lupenreine Schwindelfirma, die offenbar nicht nur in Thüringen sondern auch in Nordrhein-Westfalen einen riesigen Schaden angerichtet hat." "Na danke auch, wenn sich das hier in der Umgebung herum spricht, dass ich eine Schwindelfirma unter meinem Dach beherbergt habe, dann leidet noch mein guter Ruf darunter. Das brauche ich ganz bestimmt nicht. Lieber schreibe ich die Außenstände in den Wind." "Das kann ich verstehen, bleibt nur zu hoffen, dass den Beiden in Guatemala ein gestandener Tornado um die Ohren weht, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.  Ich werde über Sie nichts berichten, lediglich der Hinweis, dass die Beiden im Kasseler Raum eine Wohnung gemietet hatten, die sie Hals über Kopf verließen." "Tun Sie das Herr Faerkers. Auch Ihnen alles Gute und noch ein schönes Wochenende." Das Gespräch ist beendet. 





Es wird bereits leicht dämmerig, hinter der Hainleite steht die Sonne schon recht tief. Keine Chance noch einmal draußen ordentlich frische Luft zu schnappen um einen klaren Kopf zu kriegen. Günther Faerkers ahnt schon, dass die Geschichte zu einer unendlichen zu werden droht. Dieser dritten Folge fehlt ein Abschluss. er beschließt den Sonntag zu opfern um die letzte Folge druckfertig zu verfassen. Gegen späteren Abend klingelt der Sascha, er hat Langeweile, das Fernsehprogramm ist uninteressant. Im MDR läuft wieder die "Lübbenauer Gurkenschänke" geleitet von Joachim Stenzel mit Günter Jämmerlich als Stargast. Dazu musizieren die "Spreewald-Musikanten", welche Sascha Bechtloff sofort in die Flucht schlagen und ihn im Erdgeschoss bei dem Journalisten um Asyl bitten lässt.  Im Wohnzimmer, das recht spartanisch mit Möbeln aus einem schwedischen Einrichtungshaus  versehen ist, sitzen sie nun auf dem Sofa und genehmigen ich eine Flasche Erfurter Doppelbock. Sascha lässt sich das Neueste über Mona Lisa berichten. So wird es am Ende doch ein fideler Abend. Sie malen sich aus wie der Herr Baumeister und sein Eugen vor dem Maya-Denkmal "El Mirador" im Urwald von Guatemala ihre Strickmaschinen wie Sauerbier anbieten, damit die Eingeborenen dort Sombreros in Heimarbeit stricken. Die Wirkung des süffigen Doppelbocks lässt ihren Fantasien freien Lauf.

Die montägliche Redaktionssitzung im Hainleite-Boten ist heute umfangreich. Es ist die Zeit der Jahreshauptversammlungen und dabei werden verdiente Mitglieder geehrt. Die Hobby-Reporter haben reichlich Material und halbwegs brauchbare Fotos geliefert. So ringt man in der Beratung, was nun in die Freitagsausgabe aufgenommen werden kann. Schließlich soll ja Mona Lisa noch im Gespräch bleiben. Frau Bartels berichtet, dass es bereits am Freitag noch vor Feierabend einen Anruf gegeben habe, bis Montag seien noch ein Anruf auf dem Telefonbeantworter und zwei Emails eingetroffen. Alle würden von Geschädigten stammen. Viktor Hartenstein meldet sich zu Wort:" Wir müssen das in voller Länge bringen. Dennoch fehlt mir ein wenig ein ordentlicher Abschluss der Story. Doch jetzt noch etwas hinzufügen, das würde unsere Ausgabe sprengen. Ich hab ja den Text schon gestern Abend zu Hause gelesen, den Sie mir freundlicherweise schon per Email zukommen ließen. Heute habe ich frühs unseren Rechtsverdreher attackiert, ob er uns nicht mit einem neuen Interview den Abschluss für die Ausgabe in der nächsten Woche liefern kann. Er wand sich zunächst, weil er meinte, er können keine juristische Beratung erteilen, doch erklärte er sich bereit, allgemein über den Straftatbestand des Betruges, über juristische Schritte bei offenen Forderungen Hinweise zur Selbsthilfe zu geben. Herr Faerkers, bitte übernehmen Sie." Dem Journalisten fällt ein Stein vom Herzen. "Danke Herr Hartenstein, genau das war der Punkt, ?der mir etwas Bauchschmerzen machte. Doch mit dem Interview können wir die Sache rund machen." "Ich finde das auch sehr gut. Dann kann uns keiner Sensationsgeilheit oder Konkurrenzkampf gegen die "Thüringer Nachrichten" vorwerfen. Die haben ja auch eine Kolumne mit verschiedenen Ratgebern. Aber wir berichten ja viel detaillierter", ergänzt Frau Bartels.

Doch bereits vor dem Freitag, melden sich weitere Geschädigte. Die Mona Lisa verspricht auch heute noch eine große Anziehungskraft auszustrahlen.Günther Faerkers erhält einen Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft in Mühlhausen sich der Angelegenheit ebenfalls angenommen hat. So verspricht die neue Ausgabe des Hainleite-Boten eine gute Nachfrage.

Als das Interview mit Reinhard Wegener erscheint, ist Viktor Hartenstein befriedigt. Fast bedauert er es , dass diese Geschichte nur in seinem Anzeigenblatt einen begrenzten Leserkreis erreicht. Das Telefon läutet. Frau Bartels meldet "Heinz Grabert" an, der ihn unbedingt sprechen will. "Morgen Heinz", begrüßt Viktor Hartenstein den Kollegen, "was macht denn ihr gerade so schönes bei den Nachrichten?" "Ach, Viktor, hör auf, hier brennt die Luft. Die Thorenz kocht vor sich hin und giftet nur über euren Günther. Kein Wunder, das die sich ärgert. Mit ihrem Interview mit dem besagten Herrn Baumeister hat sie ins Klo gegriffen. Wenn die doch bloß das Ganze als Telefoninterview beschrieben hätte, dann wären das zwar weniger Zeilen gewesen und eher ein Kommentar als ein Artikel. Aber nein, sie musste mal wieder ihre penetrante "Heile-Welt" Schallplatte auflegen. Die ist doch selber schuld, dass ihr toller gesundheitsbewusster topfitter Westmanager nun in Wirklichkeit ein vertrocknetes Räuchermännchen ist, was die Biege nach Guatemala machte. Man merkt bei eurem Günther, dass der beim "Eulenspiegel" war. Finde ich prima. Die Thorenz dagegen mit ihrem "unterhaltenden Journalismus" - den Begriff hat sie von dem Bild-Zeitungsschreiber und Kanzlerberater Spreng aufgeschnappt, hat sich nun endlich mal auf einen Ameisenhaufen gesetzt. Das Dumme ist, dass wir nun nicht auf den Zug aufspringen können. Denn in Wirklichkeit ist das ja eine Riesenschweinerei, den Leuten, die um ihre Existenz kämpfen das knappe Geld noch aus der Tasche zu ziehen." "Ja Heinz, hast recht, aber nun kann er ja in Guatemala den Leuten Strickmaschinen andrehen." "Aber sicher doch Viktor, der kann da gleich Hundertschaften von Kindern mit beschäftigen. Die mögen doch Technik und sind geschickt mit den Händen, da braucht er bloß einen Dollar am Tag als Lohn auszugeben. Paradiesische Zustände nenne ich das." Beide lachen, dann endet das Telefongespräch der beiden Journalisten mit dem nachdenklichen Satz von Viktor Hartenstein: "Wenn es überhaupt jemals Strickmaschinen gab und er sich nicht lediglich die Wunschträume der Arbeitslosen vergolden ließ - als eine Schutzgebühr für die Möglichkeit einer Chance."





Im "schwarzen Adler" in Bad Falkenstein zeigt die Uhr die zehnte Abendstunde an. Die zweite Flasche eines "Grünen Silvaners" aus dem Unstrut-Saale Gebiet ist geleert. Günther reicht mir einen gut gefüllten Schnellhefter über den Tisch:
"Das sind so alle Unterlagen für die Artikelserie im 'Hainleite-Boten'. Die habe ich für dich kopiert. Du arbeitest doch an dieser Heftreihe 'Gegenwartsgeschichten für Schüler der Mittelstufe'. Wie ich dich kenne, machst du wieder eine spannende Erzählung daraus mit dem üblichen Rundumschlag gegen die westdeutsche Bourgeoisie." Ich muss lachen und bedanke mich herzlich, während ich den Hefter in meinem Rucksack verstaue, kündigt der Ober die Ankunft unseres Taxis an, das uns nach Hause fahren soll. 

Zwanzig Jahre sind vergangen. Der Schulbuchverlag hat meinen Beitrag natürlich abgelehnt, weil aus pädagogischen Gründen diese Erzählung für Schüler völlig ungeeignet sei. Die handelnden Personen wären viel zu negativ gezeichnet, die Wirklichkeit in der wiedervereinigten Bundesrepublik geradezu in boshafter Art und Weise verzerrt. Den Schülern müsste viel mehr ein positives Unternehmertum und die Vorzüge der sozialen Marktwirtschaft vorgestellt werden, statt Sozialneid und Hass zu säen, nur weil es einzelne schwarze Schafe nicht so genau mit dem "ehrbaren Kaufmann" nähmen.
An diese Begründung erinnere ich mich, als ich in einem Düsseldorfer Café die Wochenendausgabe der "Rheinischen Landeszeitung" studiere. Eine mehrspaltige Todesanzeige vermeldet den Tod eines Josef "Jüppsche" Baumeister, der im Alter von 75 Jahren den Löffel abgegeben hatte. Unter dieser großen Anzeige finde ich eine sehr bescheidene mit dem gleichen Namen und als Hinterbliebener ist nur "Dein Eugen" zu lesen. Da werde ich plötzlich munter und beschließe die große Anzeige abzufotografiern und genauestens zu Hause zu studieren. Auch dem Günther Faerkers werde ich das Bild schicken. Wortwörtlich drückt ein Vorsitzender des "Bundesverbandes für Direktmarketing seine große Trauer über das Ablebens des ehemaligen 2. Vorsitzenden dieses Verbandes aus. "... fast zwanzig Jahre arbeitete er unablässig an der Stärkung unseres Verbandes, sein Engagement für das Direktmarketing als eine vollwertige seriöse Sparte des Kaufmannswesens hat uns weit voran gebracht. Die ausgezeichneten Kontakte zu Spanien und Lateinamerika waren unersetzlich. Besonders die akribische Vorgehensweise und absolute Solidität in kaufmännischen Dingen wird uns sehr fehlen. Wir verlieren mit Ihm auch einen politisch engagierten Menschen, der stets auf der Seite einer liberalen Marktwirtschaft stand und sein Lebenswerk mit der Verleihung der 'Erich-Mende-Medaille in Gold" gebührend gewürdigt wurde. Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Der Vorstand der..." Unterzeichnet mit unbekanntem Vor- und Nachnamen und als Ausschussvorsitzender einer Partei, die sehr häufig gern die ukrainischen Nationalfarben als Erkennungsmerkmal gebraucht.



Nachsatz zur Veröffentlichung

Die handelnden Personen in diesem Report sind meist lebendig oder bereits in den ewigen Jagdgründen. Ihre Namen wurden verfälscht und die Schauplätze in andere Orte der Region verpflanzt. Der Landstrich selbst ist wieder zu erkennen, falls jemand dort einen Urlaub verbringen möchte, wird er dort gewiss eine interessante Umgebung kennen lernen. Nicht verschwiegen werden soll, dass zu dem Zeitpunkt der Handlung in diesem Landkreis eine geschönte Arbeitslosenquote von 30,3 % herrschte. Nach Aussagen des linker Hetze unverdächtigen CDU-Bürgermeisters war bei dieser Zahl von einer tatsächlichen Arbeitslosigkeit von 50% auszugehen. Durch das tatkräftige Aussitzen der Landesregierungen sind nun über 25% der Bevölkerung abgewandert und viele ehemalige Kunden des Jobcenters in glücklicher Armutsrente oder betrachten sich die Radieschen von unten. Mona Lisa entschloss sich daher im warmen Louvre zu bleiben und es zu erdulden, dass sich jugendliche Sektierer an ihr festkleben. Sie hat den Herrn Baumeister überstanden und wird auch in Zukunft allen Widrigkeiten trotzen. Ihr Lächeln unter Glas wird auch weitere Generationen bestricken.