das Dienstgespräch

 

nach einem Tonbandprotokoll aus der Zeit des  Berliner S-Bahnboykotts
im Jahr 1961  von Stephan Ebers

Die spärlichen Gesprächsbeiträge eines Beteiligten
wurden aus rechtlichen Gründen herausgeschnitten



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Guten Morgen Herr Treumann, ach bitte nehmen Sie doch vor dem Schreibtisch Platz. Schön, dass Sie es so schnell ermöglichen konnten von Ihrem Arbeitsplatz zu uns ins Rathaus zu kommen. Es ist ja schon eine gewisse Zeit her, dass wir uns einmal unter vier Augen gesprochen haben.


Ja, ich weiß mein Terminkalender ist wieder übervoll und die Umbaumaßnahmen erfordern selbst mir altem Hasen eine Menge ab. Ihnen geht es aber gut, das sehe ich Ihnen an. Herr Treumann, das ist wirklich ein drängendes Problem, was Sie da ansprechen. Da komme ich gleich darauf zurück, denn die Luftreinhaltung ist ein fundamentaler Punkt bei dem Umbau der Filteranlage. Doch finde ich gerade in so schweren Zeiten wie jetzt im Spätsommer des Jahres 1961 müssen wir auf Klarheit bestehen und jegliche Missverständnisse ausräumen. Das sind wir nicht nur unserem Dienstherrn schuldig, sondern auch den Bürgern.


Was ich Sie schon lange fragen wollte. Sie sind doch umgezogen nach Lankwitz. Ach das ist schon wieder zwei Jahre her, tja wie schnell doch die Zeit vergeht. Im Wedding hat es Ihnen ja nicht gefallen. Sie haben dort eine Neubauwohnung? Das ist doch die Ahlener Straße nicht wahr? Da sind Sie ja unserem Bezirk richtig untreu geworden. Verstehe, Ofenheizung ist auch nicht begeisternd. Kohlenschleppen aus dem Keller in den vierten Stock ist nicht meine Lieblingssportart. Das war früher meine Aufgabe als Pennäler, wo wir noch in Friedenau lebten. Eins zu Null für Sie Herr Treumann, ja ich bin jetzt Zehlendorfer, bei Licht besehen liegt die Palmzeile in Schlachtensee, doch mich als Schlachtenseer zu bezeichnen klingt irgendwie kriegerisch, was ich ja nun gar nicht bin, nicht wahr? Haben Sie jetzt auch einen VW? So, Sie sparen darauf noch, das ist lobenswert, das hat mein Vater auch getan, da hieß das noch KdF-Wagen, fünf Mark im Monat hat er dafür mindestens zurückgelegt. Das hat Kraft gekostet, die Freude ist allerdings durch den Krieg dann ausgeblieben. Ich habe dann höchstens in einem Kübelwagen in Uniform gesessen und durfte mir vorstellen, dass dieses Vehikel eigentlich unser Familienauto sein sollte. Aber jetzt haben wir das neueste VW-Modell, doch damit zur Arbeit fahren kommt für mich gar nicht in Frage. Ich nehme den Bus und die U-Bahn. Das Problem Luftreinhaltung muss noch ausführlich diskutiert werden, da gebe ich Ihnen recht aber mir ist auch allgemein an Reinhaltung in diesen Tagen gelegen und obwohl ich Sie als pflichtbewussten und eifrigen Beamten schätzen gelernt habe, entstehen doch Zweifel, ob Sie unser großes Problem richtig erfasst haben. Herr Treumann es geht nicht um Abluft sondern um unsere Berliner Luft, die uns abgedrückt wird. Sie sind zu sehr auf Ihre Arbeit fixiert, das in Ehren, aber Sie müssen auch sonst aufgeschlossen sein für unseren drückenden Schuh, wie das unser Regierender Bürgermeister so treffend im RIAS benennt. Sehen Sie, und da hat mich ein mit mir befreundeter Gewerkschafter vor ein paar Tagen angerufen und sich empört, dass Sie die S-Bahn benutzen um zu uns zu fahren. Er hat Sie auch in Ihrem Interesse darauf hingewiesen, dass die ostzonale S-Bahn ihre üppigen Einnahmen dazu verwendet Stacheldraht in Westdeutschland einzukaufen, weil der da drüben schon ausverkauft ist. Sie finanzieren mit ihrer Monatskarte Ulbrichts Stacheldraht und seine Mauer. Sie sind mitverantwortlich, dass unsere Brüder und Schwestern in der Zone nun eingesperrt sind. Ach, das ist ja interessant, also geradezu unerhört, Sie behaupten also, dass die Sieben Mark fünfzig pro Monat gerade ausreichen würden um die Betriebskosten zu tragen? Wer hat Ihnen das denn vorgerechnet? Ach Sie selbst veranstalten wohl auch noch während der Arbeitszeit solche kabbalistischen Rechenkunststücke im Büro, oder? Och das ist ja so viel schneller mit der S-Bahn zu fahren, dann wohl auch noch über Friedrichstr. durch Ostberlin nach Gesundbrunnen und dann Richtung Wedding und das obendrein zu unschlagbaren Preisen. Da entdecke ich ja bei Ihnen eine Schachermentalität, die ich längst vergessen glaubte. Wenn Sie am Bahnhof Friedrichstraße waren, haben Sie sich wohl gleich die entsprechende Zeitung gekauft. Wie heißt die noch? Ach ja – die Wahrheit! Schon der Name ist stalinistisch. Ihr Glück, dass der Gewerkschafter Sie erkannte. Denn er hatte vor einigen Wochen eine Familienangelegenheit bei uns zu besorgen. Dadurch können wir Zwei jetzt in freundschaftlichen Gespräch dafür sorgen, dass dieser Skandal aus der Welt geschafft wird.


Wie bitte? Sie verstehen nicht, warum ein Beförderungsmittel, das so einen niedrigen Fahrpreis besitzt, politischen Einfluss haben kann? Das ist ein politischer Kampfpreis der Ostzonalen, das haben Sie wohl noch nicht gemerkt? Die S-Bahn besitzt strategische Bedeutung im Falle der Besetzung Westberlins durch die Russen. Die fahren dann nämlich direkt von Karlshorst nach Schöneberg! Ich verbitte mir, dass Sie das ins Lächerliche ziehen und ihre Vorstellungen von Gedränge im Berufsverkehr noch weiter ausmalen. Das können Sie ja später in Sibirien tun, wo Sie viel Zeit zum Nachdenken haben. Der S-Bahn Boykott durch aufrechte Berliner, die nicht so materialistisch und kalt pragmatisch denken wie Sie, die Opfer bringen und diese Propagandazüge jetzt leer über die verrotteten Schienen rumpeln lassen, der hat schon Früchte getragen. Der Absatz von Stacheldraht in Westdeutschland ist zurück gegangen. Da wird es Zeit, dass auch in ihrem Gewissen die Freiheitsglocke des Rathauses Schöneberg zu läuten beginnt!

Ich habe damals, als junger Ingenieur an der schweren Aufgabe der Leistungssteigerung unseres Basisproduktes mit großem Idealismus gearbeitet. Ein harter aber sehr guter Lehrer war mir der Oberingenieur Kurt Prüfer in meiner Zeit bei dem Unternehmen Topf & Söhne in Erfurt. Wenn ich nur materialistisch und pragmatisch wie Sie gedacht hätte, dann wäre ich durch einen Handwerksbetrieb reich geworden, denn der Krieg musste ja zu Ende gehen und es bestand stets Bedarf an unserer Dienstleistung. Dagegen habe ich mit eisernem Willen opferbereit unsere Dienststelle wieder aufgebaut. Sie sind ja sonst so idealistisch bei unserem Erweiterungsprojekt dabei, da denke ich werden Sie ja wohl ein paar Minuten längere Fahrzeit erübrigen können. Ich sehe, das hat Sie überzeugt, es ist gut, wenn man offen und ehrlich Probleme löst, anstatt sie auf die lange Bank zu schieben.


Also, ich nehme morgens nach kurzem Fußweg zur Spanischen Allee den Dreier bis zum U-Bahnhof Krumme Lanke. Dann mit der U-Bahn zur neu eingeweihten Linie an der Spichernstraße bis zum Leopoldplatz. Nach einem weiteren Marsch bin ich schon hier im Amt. Jetzt habe ich das für Ihren Wohnort recherchiert. Sie laufen von Ihrer Wohnung zur Haltestelle des Einser oder der 96, dann bis zur Haltestelle Lindenstraße. Von dort nehmen Sie die 78 bis zum Bundesplatz und steigen dann in den Sechzehner um. Oder sie fahren mit der 78 zum Zoo und nehmen von dort die U-Bahn. Da können wir schon die aktuellen Vorgänge mündlich erörtern. Ist das was?


Was habe ich da eben bei Ihnen nicht gesehen? Sie haben eben drei Buchstaben, die ich kaum auszusprechen vermag, so völlig ohne Gänsefüßchen in die Luft zu malen, oder wenigstens mittels der Beifügung 'sogenannte' in den Mund genommen. Sie haben weder laut und deutlich SBZ genannt, noch ihre absolute Verachtung für die Buchstaben D D R ausgedrückt. Das ist unerhört. Es geht hier um politische Ziele um den siegreichen Kampf gegen den Kommunismus, der alles unterjocht. Dafür sind Sie nicht bereit ein paar Minuten mehr zu opfern, da rechnen Sie die 35 Minuten ostzonaler Fahrzeit mit schönen 67 Minuten in unseren Bussen gegen? Jetzt haben wir sogar Reisebusse im Einsatz, die aus Westdeutschland gemietet wurden, weil unsere tapferen Westberliner die S-Bahn verschmähen. Ich bin schon jeden Morgen auf's Neue gespannt, was für ein Reisebus mich zur U-Bahn fährt. Das ist so als ob sie in Berlin verreisen. Wenn der Bus voll ist, was macht das schon, in 15 Minuten kommt der Nächste und dann können Sie es damit versuchen. Außerdem wenn Sie ab Zoo die U-Bahn nehmen, brauchen Sie deutlich weniger. Das schlägt doch wohl dem Fass den Boden aus. Sie führen dagegen die Straßenverkehrsabgabe an, die der Ulbricht bei der Fahrt durch die Zone abkassiert? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich dies so einfach mir gefallen lasse? Schauen Sie mal, wenn ich mit unserem neuen VW durch die Zone reise, dann entrichte ich die fünf Mark nur unter äußerst scharfen Protest – innerlich versteht sich. Sie aber fahren gemütlich mit der S-Bahn, das ist billiger und schneller. Wo bleibt eigentlich Ihr Beitrag zur freien Welt unter amerikanischem Schutz?


Doch lassen Sie mich zusammenfassen. Es ist gut, dass wir dies einmal so gründlich und gelegentlich kontrovers diskutiert haben. Das fördert das zwischenmenschliche Vertrauen und stärkt den Zusammenhalt, den wir so dringend brauchen. Sehen Sie einmal, unsere Arbeit war noch nie leicht, auch für mich vor zwanzig Jahren weiß Gott nicht, doch der Zusammenhalt, die Gemeinschaft, in der Alle dasselbe Ziel verfolgen, das hat uns stark werden lassen durch alle Wirrnisse hindurch. Ich rechne dabei auf Sie.


Wie bitte, ja danke, das hätte ich beinahe vergessen. Ich brauche von Ihnen eine Zusammenstellung der aktuellen Anforderungen zur Luftreinhaltung bei vollem Betrieb. Nächste Woche bin ich bei Senator Lipschitz, er gibt da einen Empfang zu dem ich als alter Genosse eingeladen bin. Da möchte ich ihm in einer ruhigen Minute gern die Konzeption der Anlage vorstellen. Aber das können wir ja morgen in der U-Bahn besprechen, wenn Sie nicht die Busfahrt vorziehen sollten. Ja, dann sage ich mal frisch und fröhlich ans Werk und auf weitere gute und offene Zusammenarbeit Herr Treumann. Jetz entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch einen Aktenberg abzuarbeiten. Auf Wiedersehen.


Frau Vollnick, können sie mich durch die Sprechanlage hören? Ah, das ist schön, ist ja praktisch so eine moderne Einrichtung, können Sie bitte eben zum Diktat vorbei kommen? Es ist dringend.


Bitte setzen Sie sich, es dauert nicht lange. Nur später habe ich das wieder vergessen. Schreiben Sie bitte:


An den Senator für Inneres und Sport Herrn Joachim Lipschitz. Anschrift haben Sie ja. Sehr geehrter Herr Senator, bezüglich des Vorfalles Treumann und Bruch des S-Bahn Boykotts teile ich Ihnen mit, dass ein Personalgespräch erfolgt ist. Das Ergebnis ist leider unbefriedigend. Treumann reagierte völlig uneinsichtig, in ausschweifenden Monologen rechtfertigte er das ostzonale Beförderungsmittel mit Preisvorteilen und Zeitgewinn, ja er ließ sogar ein Verständnis für die die völkerrechtswidrige Einmauerung unseres schönen Westberlins durchblicken. Offenkundig ist er bei seinen täglichen Fahrten durch Ostberlin in den Einfluss der sowjetzonalen Propaganda gelangt. Das wurde deutlich, als er sich Argumenten bediente, die sonst der Zonenpresse zu eigen sind, wie sie auch in der SED-Zeitung für Westberlin „die Wahrheit“ zu lesen sind. In der Debatte, die zeitweise von ihm erregt geführt wurde, sprach er sehr deutlich die drei Buchstaben 'D D R' aus, ohne durch das Malen der Gänsefüßchen in der Luft, noch durch das unerlässliche 'sogenannte' Staatsgebilde, welches gar nicht existiert, damit korrekt zu beschreiben. Es bedurfte starker sachlicher Argumente, dass es die Dienstpflicht ihm gebietet, in Zukunft die BVG – Verkehrsmittel benutzen zu müssen. Er ließ es dabei an jeglicher Begeisterung für seine Pflichten fehlen, ja er zeigte sogar Zeichen von Sturheit, weil er immer wieder versuchte das Thema zu wechseln hinsichtlich unseres Abluftprojektes. Diese Verengung seines Blickes führt zu starken Bedenken gegen seine weitere Verwendung in unserem Amt. Besonders gravierend ist seine mangelnde Kampfesbereitschaft für die freie Welt, denn in unserer Dienststelle haben wir regelmäßig mit Kontakten zum Ostberliner Magistrat und der SBZ zu tun, weil wir unsere Dienstleistungen grenzübergreifend anbieten müssen. Dies gehört aber zum Aufgabengebiet des Oberinspektors Treumann, weshalb er in diesen Fällen ein nicht kalkulierbares Sicherheitsrisiko darstellt. Ich sehe mich daher gezwungen Sie um sofortige Versetzung des Treumann in einen weniger sicherheitsempfindlichen Bereich zu bitten. Der Oberinspektor ist sonst ein zuverlässiger und williger Mitarbeiter, der keine eigenen Ideen entwickelt, ist also ideal für subalterne Tätigkeiten einzusetzen. Von einem Genossen aus unserer Abteilung Zehlendorf habe ich erfahren, dass am Anhalter Bahnhof im Bunker noch jemand zur Verwaltung der Senatsreserve benötigt wird. Mir scheint dafür Treumann die richtige Person zu sein, was auch der behördlichen Fürsorgepflicht entspricht. Denn bei dieser Arbeit ist er immer in der Nähe seiner geliebten S-Bahn.


Für Rückfragen stehe ich nur Ihnen persönlich zur Verfügung. Dieser Vorgang ist meines Erachtens mit äußerster Sensibilität zu bearbeiten.


Hochachtungsvoll


Ihr Paul Nitschke


technischer Oberverwaltungsrat im

Amt für Bestattung

Leiter des Krematoriums Wedding





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